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DAS SCHEITERN DES SOZIALISTISCHEN KONZEPTS IN DER DDR

--- unter dem Aspekt des Menschenrechtes auf Freiheit ---

 

von

Michael Stoll, Dezember 1990

 

 

Die schriftliche Ausfertigung eines Referates zu dem rechtswissenschaftlichen Seminar:

"Die Interdependenz von Staat und Wirtschaft am Beispiel des Umweltschutzes"

unter Leitung von Prof. Ekkehart Stein

im Wintersemester 1990/91

an der Universität KONSTANZ

 

 

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DER ERSTE SCHRITT
HIN ZU EINER MÖGLICHEN FREIHEIT DES MENSCHEN
KANN ÜBER DEN LEBENDIGEN AUSDRUCK GESCHEHEN,
WELCHEN JEDES KIND BESITZT.
DOCH WESEN-TLICH WIRD DIE FORMSCHAFFENDE ARBEIT,
DENN DIE KRAFT EINES JEGLICHEN MENSCHLICHEN LEBENS
BENÖTIGT BEGRENZUNG,
SOWIE RAUM ZUR ENTFALTUNG;
TUMORIG SICH ENTFALTEND,
SOWIE GEWALTSAM IN IHRER SUCHE NACH FREIRAUM UNTERDRÜCKT,
WEIST DIESE LEBENDIGE KRAFT
CHAOS UND UNTERGANG. 

 

(aus: Manifest <MOSAIK> "der kirschbaum")

 

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Das Scheitern des sozialistischen Konzepts in der DDR unter dem Aspekt des Menschenrechtes auf
FREIHEIT

 

I.

1. Die menschliche Freiheit als erstes und oberstes Menschenrecht, das einem Jeden zukommt

2. Die Verantwortung des Einzelnen aus dem Recht auf Freiheit gegenüber dem Mitmenschen

3. Eine Gemeinschaftsordnung der Freiheit

 

II.

1. Der Freiheitsbegriff im real existierenden Sozialismus und Konsequenzen im Staatshandeln

2. Folgen

 

III.

1. Resultat

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I.

1. Die menschliche Freiheit als erstes und oberstes Menschenrecht, das einem Jeden zukommt

 

Ein Freiheitsbegriff, welcher den Menschen in seiner Ganzheit zu erfassen versucht, beschreibt diesen als einen in umfaßender Art und Weise tätigen Menschen.

Zu hinterfragen ist, wie der Mensch zu einer Tätigkeit gelangt und was stets das Ziel einer solchen ist:

Ausgehend von der Auffassung, daß der einzelne Mensch innerhalb seiner Existenz einer Wandlung unterworfen ist, d.h. er entwickelt sich vom Kind zum Erwachsenen und trägt auch als solcher eine fortdauernde Entwicklung, besitzt er hinsichtlich seines Lebensprozeßes sich ändernde Schwerpunkte innerhalb seiner Bedürfnisse.

Was ist ein Bedürfnis?

Ein Bedürfnis ist der vom menschlichen Willen getragene Drang, eine bestimmte Tätigkeit auszuführen.

Der durch einen Drang bewegte Mensch sucht nach einem Mittel, welches ihm Ausgleich, Ruhe zu ermöglichen hilft.

Dieses Mittel ist die menschliche Tätigkeit.

 

Was ist nun das Auszeichnende in der Qualität der betreffenden Tätigkeit des von einem Drang beseelten Menschen, welche diese zu einer von dem Menschen bestimmten entstehen läßt?

Dem Grunde nach versucht der Mensch gemäß seiner entwickelten Eigenheit stets Tätigkeiten auszuwählen, welche ihm Erfüllung zutragen.

 

Beispiel:

Ein kleines Kind schreit nach Nahrung. Erhält es diese von der Mutter, beruhigt es sich.

Ein Junge im Alter von acht Jahren rennt als Stürmer auf dem Fußballplatz. Nach gemeinsam errungenem Sieg fühlt er sich müde und abgekämpft; sitzt aber zufrieden mit seinen Kameraden in der Kabine .

Intensive Proben, jeden Tag, waren zurVorbereitung für das Konzert notwendig. Nach dem Applaus des Publikums fühlt sich der Solist gelöst und entspannt.

Zwei Jahre dauerte es, bis das Theaterstück fertiggestellt war. Mit der Fertigstellung der letzten Szene lehnt sich der junge Dramatiker an seinem Schreibtisch beseelt zurück.

Gemeinsam arbeiteten sie an dem Projekt; jeder hatte seinen Teil, wobei keiner höher einzuschätzen galt, beizutragen. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen und Probleme, die es zu lösen galt; aber dennoch gab es Zeiten, an denen das gemeinsame, unbestimmte Ziel, für das jeder mit seiner übernommenen Aufgabe kämpfte, klarer vor die Augen zu treten schien und eine freudige Stimmung zu-lies.

 

Kennzeichnent für das Moment der Erfülltheit ist vor allem, daß mit dem Erreichen eines solchen Zustandes eine Form der Ruhe bei dem betreffenden Menschen augenblicklich Bestand zeigt, die als eine beseelte Ruhe, d.h. den Menschen in seiner leib-seelischen Ganzheit umfaßend, zu bezeichnen fähig ist.

In solchen Augenblicken erfährt der Mensch seine menschliche Wirklichkeit nicht mehr als brüchig und zergliedert, sondern seine Seele trägt einen Zustand der Harmonie.

Wichtig ist bei einer Tätigkeit, deren Abschluß das Empfinden einer Harmonie bei dem einzelnen Menschen auslöst, daß er nicht fremden Aufforderungen folgt, sein Tun also einem Fremdinteresse dient, sondern der Impuls zum Handeln aus seiner Mitte gerät.

Mit dem Begriff "Mitte" ist gemeint, daß der zentrale Bestimmungsgrund für das Handeln aus der Ganzheit des betreffenden Menschen heraus zu erfassen ist; d.h., bezöge man den Grund des Tätigseins auf einen entworfenen, gestaltbaren Zweck, so würde der Mangel, welcher eine solche Zweckbestimmung hervorbrächte, offensichtlich sein und ließe die sich entwickelnde Eigenheit des betreffenden Menschen außer Betracht.

Diesen Zustand der Harmonie kann man auch als GLÜCK bezeichnen.

Glücklich ist so der Mensch, welcher Tätigkeiten ergreift, ergreifen kann, die seinem persönlichen Menschsein, seiner Wesenhaftigkeit gemäß, und ihm so Erfüllung zuzutragen fähig sind.

 

Wie gelangt nun der Mensch zu einem solchen, erfüllendem Tun?

Wesentlich hierbei ist vor All-em, daß der einzelne Mensch innerhalb seiner Lebenssphäre stets den Raum erhält, sich für ein bestimmtes Tun unter bestehenden Alternativen zu entscheiden.

Mit "Raum" meine ich zum einen die eigen gewonnene Fähigkeit, einen Willensentschluß innerlich fassen zu können, und zum Anderen, daß der Mensch die Möglichkeit erhält, innerhalb der äußeren Lebenssphäre sich für ein bestimmtes Tun unter gegebenen Alternativen zu entscheiden.

 

Beispiel:

Ist man in ein Spezialitäten - Restaurant zum Essen eingeladen worden und bestellt der Einladende rigeros für alle Gäste dasselbe Menü, obgleich die Speisekarte eine Vielzahl von Möglichkeiten offenläßt, so wird der Gastgeber angesichts der teils recht lustlosen Mienen seiner speisenden Gäste einsehen müssen, daß es nicht möglich ist, anderen Menschen vorzuschreiben, was deren spezielle kulinarische Vorlieben zu sein haben, sondern daß er besser daran getan hätte, den Gästen zumindest eine gewisse, den Gegebenheiten nach mögliche Wahl eines eigen-bestimmten Menüs zu ermöglichen.

 

Innerhalb einer entsprechenden Tätigkeitsform Glück zu empfinden, einhergehend mit der Möglichkeit des Menschen, unter möglichen Alternativen hinsichtlich eines bestimmten Tuns auszuwählen, beschreibt die menschliche FREIHEIT.

 

Zwar sind die Menschen untereinander grundsätzlich verschieden, besitzen aber alle denselben Anspruch hinsichtlich des Rechtes auf Freiheit, da sie in ihrer Seinsqualität "Mensch", damit meine ich im Besitz einer grundsätzlich nicht abgeschloßenen Entwicklungsmöglichkeit hinsichtlich ihrer sittlich-geistigen Entfaltung, gleich sind.

Freiheit ist notwendige Voraussetzung zur sittlich-geistigen Entfaltung, da die innere Entwicklung des Menschen ihren Niederschlag und Bewährung in einem äußeren Tun zu finden hat.

Ist dies nicht der Fall, wird die weitere Entwicklung des ganzen Menschen blockiert.

Aus diesem Grunde muß die menschliche Freiheit ein Menschenrecht sein, das einem Jeden zukommt, und sie ist ferner das erste und oberste Menschenrecht, da die aus ihr resultierende selbstständige Tätigkeit, das erste ist, was den Menschen als Menschen auszeichnet, und sie wird als oberstes Menschenrecht bezeichnet, da jeder Mensch mit seiner Tätigkeit letztlich einen Zustand anstrebt, welcher mit dem Wort "Glück" begrifflich gefaßt werden kann.

 

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2. Die Verantwortung des Einzelnen aus dem Recht auf Freiheit gegenüber dem Mit-menschen

 

Der einzelne Mensch wird von Kräften in seinem Tun bestimmt.

Diese Kräfte können über Gebote und Verbote an den Menschen herangetragen werden.

Der sich frei entwickelnde Mensch lernt jedoch, aus der allmählichen Bewußtwerdung seiner Handlungen heraus, sich selbst-ständig für ein bestimmtes Tun zu entscheiden (s.o.).

Aus solcher Entscheidungsfähigkeit erstarkt im Menschen das Bewußtsein, daß er für sein Handeln auch die Konsequenzen zu tragen hat, da er, als Mensch aufgerufen selbst die Bestimmung für eine jegliche seiner Taten zu geben, eine Überantwortung dieser mit seiner Freiheit nicht zu vereinbahren ist.

Der Mensch beginnt als denkendes und fühlendes Wesen auf ein erfolgtes oder auch nur vorgestelltes Tun reflektierend zu antworten; aus der Freiheit des Menschen erwächst so die Verantwortung.

Wesentlich ist für den Bestand der Verantwortung ist die Tatsache, daß der Mensch als Gemeinschaftswesen erkennt, daß personale Freiheit ohne Freiheit des Mitmenschen schlichtweg unmöglich ist, ja dessen Freiheitsentwicklung den Bestand der eigenen Freiheit miteinschließt.

So erkennt der Mensch, daß er, indem er die Freiheit seiner Mitmenschen, so seiner Umwelt, nicht fördert, sondern beeinträchtigt, einem Gesetz der Freiheit zuwiderhandelt.

Der Mensch erkennt, daß ein die Sozietät beeinträchtigendes Verhalten seine eigene Freiheits-Entwicklung rückwirkend hemmen muß.

 

Beispiel: Lernt der einzelne Mensch nicht, in einem Gespräch sein Gegenüber zu Wort kommen zu lassen, sondern ist er allein damit beschäftigt seine eigenen, gefassten Vorstellungen auszubreiten, sich sprachlich zu "befreien", wird er bald merken, daß sich der enttäuschte Gegenüber abwendet, eine mögliche Begegnung nicht entstehen konnte, da dieser seinerseits keine Gelegenheit erhielt, seine Vorstellungen, seiner Sicht der Dinge im Dialog zu entwickeln, sondern in die "Ecke gedrängt" worden war.

Eine Begegnung hätte dem ersteren Menschen die Möglichkeit eröffnet, seine Vorstellungen in einer menschengemäßen Relation zu erfahren, was für ihn erleichternd, wahrlich befreiend gewesen wäre.

 

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3. Eine Gemeinschaftsordnung der Freiheit

 

Eine Gemeinschaftsordnung hat in ihrer Gestaltung auf die Unterschiedlichkeit der einzelnen Menschen und ihren jeweiligen individuellen Entwicklungen obersten Wert zu legen, d.h. eine Gemeinschaftsordnung der Freiheit muß auf Grundlage der verschiedenartigsten Bedürfnisse des Menschen und seiner lebendigen Entwicklungsmöglichkeit als Individuum verstanden werden und diese im größtmöglichen Maße versuchen zu fördern, d.h. Freiheit zu ermöglichen.

Diese Gemeinschaftsordnung hat eine Rechtsetzung und Rechtsprechung besitzen, welche die Grenzen persönlicher Handlungsmöglichkeiten des Einzelnen unter dem Grundsatz der persönlichen Verantwortbarkeit klar festlegt, und welche bei zu erfolgenden Sanktionen primär darauf abzielen sollte, daß Erkenntnis bei dem verantwortungslos Handelnden darüber möglich werden kann, weshalb er das allgemeine Gesetz der Freiheit (s.o.) verletzte.

 

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II.

 

1. Der Freiheitsbegriff im real existierenden Sozialismus und Konsequenzen im Staatshandeln

 

Welche Stellung und Bedeutung das Menschenrecht der Freiheit in der ehemaligen DDR besaß, verlangt eine Beachtung des politischen Systems, welches gemäß der ihm zu Grunde liegenden Weltanschauung und daraus resultierenden Handlungspraxis die Freiheit des Einzelnen schützte und achtete.

 

Das gesellschaftliche Leben in der DDR beherrschende und gestalltende Moment war das Wirken der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands).

Entstanden aus einem zwangsweisen Zusammenschluß der SPD mit der KPD im April 1946, verfolgte diese Partei den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung auf dem Gebiet der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone.

Ideologische Grundlage der SED stellte der Marxismus-Leninismus dar, dessen philosophische Grundhaltung als materialistisch zu bezeichnen ist.

Bestimmend für diese Weltanschauung ist, daß das Bewußtsein des Menschen sich gemäß der auf ihn einwirkenden materiellen Welt bildet; das Gedankenleben des Menschen besitzt demnach keine eigenständige, objektive Realität, sondern trägt bloßen subjektiven Wiederspiegelungscharakter der objektiven, materiellen Welt. Menschliches Bewußtsein wird demnach als ein Entwicklungsprodukt der Materie angesehen, welches gemäß des Einflußes der Arbeit auf den einzelnen Menschen und gemäß der gesellschaftlichen Verhältnisse entsteht.

 

Nach Marx könne Freiheit in einer menschlichen Gesellschaft erst dann verwirklicht sein, sobald das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmte Tätigsein des Menschen sein Ende gefunden habe.

Jegliche Form der Unterdrückung und des Zwanges der herrschenden Klasse, der Geistarbeiter gegenüber den körperlich arbeitenden Menschen, den Arbeitern müsse ihr Ende finden. In einer Abfolge von revolutionären Prozessen seien die Arbeiter zuletzt aufgerufen, als führende Klasse die Herrschaft über das gesammte Volk zu übernehmen. Notwendig werde in der weiteren Entwicklung, daß die Produktivkräfte einen solchen Überschuß an materiellen Gütern produzieren, daß an ihnen kein Mangel mehr herrscht.

Erst in der Erreichung eines solchen Zieles könne der Mensch unter Menschen frei sein, wäre es jedem Menschen möglich, gemäß seiner Fähigkeiten und gemäß seiner Bedürfnisse ein wahrhaft menschenwürdiges Dasein zu führen, bestünde die Realität des Kommunismus.

 

Mit den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels besaß die SED ein für ihr Selbstverständnis überzeugendes und keinen Widerspruch zulassendes Fundament.

Anfänglich noch in den Jahren 1946-1948 als Massenpartei auftretend entwickelte sie sich immer mehr zu einer Kaderpartei, die es als ihre Aufgabe ansah, als eine alle gesellschaftlichen Bereiche erfaßende Kraft, den vor-gezeichneten geschichtlichen Prozeß zum Abschluß zu führen; sie installierte ein totalitäres System.

Bezeichnent für das Wirken der SED war, gemäß ihres ideelen Fundaments, daß sie glaubte, den geschichtlichen Prozeß, hin zu dem Endziel des Kommunismus, mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit vorausberechnen und planen zu können.

 

Beleg:(Auszug aus dem Bericht des Zentralkomitees der SED auf dem XI. Parteitag der SED im April 1988)

"... daß der Sozialismus nicht, wie einige Konservative des Westens behaupten, ein "Irrtum der Geschichte" ist, sondern die Zukunft der Menschheit repräsentiert. (Lang anhaltender starker Beifall) Wie diese Zukunft letztlich aussieht, kann jeder nicht nur in dem von Karl Marx und Friedrich Engels ausgearbeiteten Manifest der Kommunistischen Partei, sondern auch in solchen Arbeiten von Friedrich Engels, wie "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" und "Der Ursprung der Famielie" nachlesen."

 

Somit bestand in der Phase des Sozialismus das Recht auf Freiheit immer nur in dem Maße, wie es der jeweilige historische Prozeß gemäß seiner ökonomischen Möglichkeiten zuließ und war von den politischen Notwendigkeiten bestimmt; es war ein Freiheitsbegriff, welcher nicht dem Einzelnen einen unantastbaren Bewegungsraum belies, sondern dieser vor der Vision, dem Ideal der kommunistischen Gesellschaft größte Einschränkung erhalten konnte.

 

» Konsequenzen im Staatshandeln:

 

Um das "Rad der Geschichte" seiner Bestimmung gemäß in Bewegung zu halten, mußten der Kontrolle der Partei alle gesellschaftlichen Bereiche zugänglich sein.

Die Planung und Führung der gesellschaftlichen Prozesse erfolgte von einem Zentrum aus.

Auf dem alle 4 Jahre stattfindenden Parteitag, formal das oberste Organ der SED, wurden zwar die Beschlußfassungen für grundlegende Entscheidungen vollzogen, der zukünftige Weg wurde jedoch allein über Vorabentscheidungen von den zentralen Parteigremien, dem Politbüro und dem Sekretariat des ZK bestimmt.

Die höchsten Funktionen des Staatsapparates wurden von Mitgliedern der SED eingenommen.

Zur "Kaderpolitik" der SED gehörte ferner, daß in allen Institutionen und Organisationen Kommunisten maßgebende Stellen zu besetzen hatten.

An Hand eines "Kaderspiegels" überprüften Parteifunktionäre die Zusammensetzung jeder Behörde, jeder Belegschaft, jeder Organisation, und hatten dafür zu sorgen, daß in allen Behörden, Betrieben und Organisationen ein Übergewicht der Partei, sowie deren Vertreter und ihrer ideologischen Standfestigkeit gesichert war.

 

Beleg: (aus einer Mitteilung eines Kreisarztes an den Ärztl.Direktor der Kreispoliklink GRIMMA)

 

An

Abteilung Gesundheit und Sozialwesen

Betr.: Leistungseinschätzung, der in der Rahmennomenklatur des Rates des Kreises enthaltenen Kader ihrer Einrichtung

Zur Verbesserung der Kaderarbeit mit dem o.g. Personenkreis beauftrage ich Sie, eine Leistungseinschätzung vorzunehmen, die in einem Kadergespräch dem Kader zur Kenntnis zu geben ist.

Ihre Zuarbeit erwarte ich bis zum 30.10.84

...

(Kreisarzt)

 

(aus dem betreffenden Formblatt über

Bewertungskriterien)

 

1. Polit.- ideologischer Bewußtseinszustand, polit.- moralische Haltung gesellschaftliche u. politische Aktivitäten

2. Berufl. und fachliche Eignung, fachl. Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen, die zum geplanten Einsatz befähigen

3. Charaktereigenschaften

4. Kontakte

 

Unterschriften von: Partei

Ärztl. Direktor

 

 

 

Gleich einem fein geknüpften Netz versuchte die Partei ihren Einfluß in allen gesellschaftlichen Bereichen zu behaupten und zu sichern, ihre propagandistisch verbreiteten Vorstellungen in die Wirklichkeit umzusetzen.

 

Die Wirtschaft mit ihren Kombinaten und Betrieben, den VEB's, sowie den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, den LPG`s, bis in die letzte Phase des Bestehens des sozialistischen Konzepts in der DDR fast ausschließlich in staatlicher Hand, basierte auf zentralen Entscheidungen über die Produktion und auf zentralen Zuteilung der für die Produktion notwendigen Mittel. Die Betriebe erhielten Plankennziffern und in Abstimmung damit die Investitionsmittel, die Rohstoffe und Vorerzeugnisse.

Der Staat bestimmte die Ziele, die Proportionen, die Löhne und die Preise und über das Außenhandelsmonopol den Außenhandel...

Die vielen miteinander verbundenen Produktionsprozeße sollten über ein bürokratisches System von Auflagen und Zuteilungen ineinandergreifen und ein Wirtschaftsleben ermöglichen.

Beleg: (aus dem Bericht zur Erfüllung des Haushaltsplanes 1987 im Kreis GRIMMA)

"... Auf der Grundlage des Beschlusses der Kreisleitung der SED vom 24.02.1988 zur weiteren Umsetzung der Beschlüsse des XI.Parteitages sowie in Auswertung der Beratung des Sekretariats des ZK der SED mit den 1.Sekretären der Kreisleitungen ist die Arbeitsproduktivität auf Basis Nettoproduktion um 1% zu überbieten, eine zusätzliche Senkung der Materialkosten um 0,1% zu sichern, die gesellschaftlich nicht notwendigen Aufwendungen um mindestens 10% zu senken, sind die beeinflussbaren Ausfallzeiten um mindestens 4-5 % zu veringern."

 

Nicht Angebot und Nachfrage bestimmte das Wirtschaftsleben; sondern Planvorgaben, und der Versuch, diesen gerecht zu werden.

 

 

Das Rechtssystem war voll und ganz auf die Forderungen der herrschenden politischen Ideologie eingestellt und hatte allein dieser zu dienen).

Beispiel:(aus dem Zivilgesetzbuch der Deutschen

Demokratischen Republik v. 19.6.1975)

"§ 2 Förderung sozialistischer Beziehungen

Das Zivilrecht fördert sozialistische Gemeinschaftsbeziehungen. Es hilft, die von den Anschauungen der Arbeiterklasse geprägten Grundsätze der sozialistischen Moral im Verhalten und Handeln der Bürger sowie in ihren Beziehungen untereinander und mit Betrieben durchzusetzen. Es ist darauf gerichtet, die Übereinstimmung der individuellen und kollektiven Interessen mit den gesellschaftlichen Erfordernissen zu sichern."

 

Das Bildungswesen war einheitlich ausgerichtet und zielte auf die Ausbildung und Erziehung des Menschen zur "schöpferischen sozialistischen Persönlichkeit".

War die offenbare Gesinnung jedoch nicht gemäß der erwarteten, konnte dies Folgen für das schulische oder berufliche Weiterkommen haben, ohne daß dabei der persönlichen Interessensstruktur des einzelnen Menschen Achtung gegeben wurde.

Beispiel: Nichtzulassung eines Schülers zum Abitur nach Entscheidung der Schulleitung wegen mangelhafter "sozialistischer Einstellung" in GRIMMA .

Der Schüler hatte für einen Zeichenwettbewerb im Rahmen der Schule ein Plakat zur Revolte in Peking auf dem Platz des himmlischen Freidens 1989 gemalt.

 

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2. Folgen

 

Entscheidende und alle gesellschaftlichen Bereiche überschattende Folge dieser totalitären Herrschaft der Partei über die Bevölkerung in der DDR war, daß erneuernde, evolutionäre Kräfte, welche stets auf Grund der Initiative und Energie einer freien und individuellen Persönlichkeit ihren Impuls empfangen, nicht zur Entfaltung kamen.

Da die wesentlichen Entscheidungen, ob in der Wirtschaft oder selbst im Kunstschaffen, schon vorgeprägt waren, galt es zuvörderst das aufgestellte und mit dem Machtapparat dringend gemachte Soll zu erfüllen.

So wurde meist nur Perfektion, oder eine Kombination schon vorhandenen Wissens verfolgt; da dies am wenigsten Risiko für den eine Handlung hinsichtlich der erfolgten Planung zu verantwortenden Menschen bedeutete.

 

Beispiel: Die neu im Sozialamt des Landratsamtes in GRIMMA angestellte Leiterin Frau T. berichtet (im Sommer 1990):

"Ich studierte in Ost-Berlin Maschinenbau. In meinen ersten Betrieb kam ich voller Ideen und Elan. Mein erster Auftrag war,mir über die ökonomischere Einrichtung und mögliche Veränderung der Produktionsstraße Gedanken zu machen. Zwei Monate arbeitete ich mit Feuereifer. Nach dieser Zeit ging ich zum Betriebsleiter, einen fachlich unqualifizierten Mitarbeiter, der über die Partei an den Posten gekommen ist. Dieser sah mich an, nahm den Stapel Papiere, welche meine Ausarbeitung erhielt, entgegen, blätterte ein wenig darin herum,öffnete eine Schublade und lies den Stapel darin verschwinden. Ich sah von dieser Arbeit oder irgendwelchen Änderungen im Betrieb in der folgenden Zeit keinen Schimmer mehr. Sie können sich vorstellen, daß damit meine Lust, mich für den Betrieb einzusetzen verschwunden war; meinen Lohn bekam ich so oder so. Mir wurden dadurch meine privaten Hobbys, wie z.b. meine Schachrunde, viel wichtiger."

 

So gingen der Gesellschaft die lebendigen und einen möglichen gesellschaftlichen Fortschritt ermöglichenden Kräfte verloren.

Das Handeln in der Öffentlichkeit war vorherbestimmt, die Freiheit des Menschen konnte sich so allein in der Privatsphäre entwickeln.

 

Aber auch dem Leben im privaten Bereich waren durch die staatlich aufdoktrinierten Einschränkungen und Verbote z.B. hinsichtlich einer Reise in den "Westen", enge Grenzen gesteckt.

 

Auf Grund der instabilen Gesamtsituation des Systemnetzes im Ost-block Ausgang der 80`er-Jahre und der Massenflucht von DDR-Bürgern im Herbst 1989 über Ungarn und die Tschechoslowakei in die Bundesrepublik , war die Führung der DDR in Folge innerstaatlicher revolutionärer Bewegungen mittelbar gezwungen, am 9.November 1989 die deutsch-deutschen Grenzen zu öffnen. Da dies eine nicht mehr enden wollende Fluchtbewegung nach sich zog, brach das System unter politischen Druck im Jahre 1990 endgültig zusammen und führte zu einem Zusammenschluß beider deutschen Staaten unter dem Bonner Grundgesetz.

 

Damit trat die hinsichtlich ihrer Tatsachen bisher teilweise geschickt verdeckt gehaltene Realität der DDR offen zu Tage:

 

Umwelt

Da dem "gesellschaftlichen Fortschritt", was heißt, die Schaffung eines hohen Lebensstandarts in der direkten Konkurrenz mit dem Westen, oberste Sorgfalt galt, wurde dem Umweltschutz aus Gründen des Umweltschutzes geringe praktische Bedeutung zugeteilt, zudem die in Umweltvorschriften geforderten Normen nicht eingehalten werden konnten, da der hohen Industrieproduktion keine leistungsfähige Umweltschutzinfrastruktur gegenüberstand.

Beleg: (Leibziger Volkszeitung, Titelblatt, Mittwoch 1/8/90)

" Der Pro-Kopf-Ausstoß an Schwefeldioxid ist nach Angaben der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) in der DDR 15-mal so groß wie in der Bundesrepublik Deutschland. "

 

Wirtschaft

Die nicht an konkrete Erfordernisse und Möglichkeiten geprüfte Wirtschaft mit ihren abstrakten, von zentraler Stelle vorgegebenen, und zu erfüllenden Plankennziffern und so ihrerseits oft der Realität nicht entsprechenden Angaben über das tatsächliche Leistungsvermögen und Bedarf, hatte im Vergleich mit dem kapitalistischen Ausland und dessen System der freien Marktwirtschaft, in dem das Prinzip des Angebots und der Nachfrage bestimmend ist, starke Defizite zu verzeichnen.

Beleg: ( Kurzexpertise für den Bundesminister für Wirtschaft im Rahmen der Strukturberichterstattung, Berlin, Januar 1990, (S.49)

"Die materiellen Lebensbedingungen sind für die Bevölkerung ein Ärgernis... Die Grundversorgung ist zwar leidlich gesichert, es fehlen aber Qualität, Sortimentsvielfalt, Mode, Technik und Neuerungen."

 

Rechtspraxis

In welch starkem Maße sich die Freiheit des einzelnen Menschen in den von der Partei gesetzten, innerhalb des Systems vorbestimmten Grenzen zu halten hatte, zeigt sich in der Offenlegung des gesammten Tätigkeitsbereiches des Staatsicherheitsdienstes.

Hier erweist sich die Existenz eines totalen Überwachungsstaates, in welchem die Freiheit des einzelnen Menschen nichts galt, dem idealen Wunschbild einer zukünftigen Gesellschaft freier Menschen sich die terrorisierende Existenz eines bloßen Machterhaltungsapparates beigesellte.

Beleg: die Tageszeitung (taz) Juni 1990, Sonderdruck, 20-seitige enggedruckte Adressenliste von ehemaligen Stasi-Liegenschaften, Titelseite

"Die Vergegenwärtigung von wo aus überall die Stasi überwacht hat und wie verwoben der Apparat der Stasi mit der Gesellschaft war, soll als Material helfen, bei der Bearbeitung der Vergangenheit."

 

Geistes- und Kulturleben

Das öffentlich propagierte, mit Hilfe des real existierenden Sozialismus sich zum "sozialistischen Menschen" gewandelte Individuum gibt es nicht.

Beleg: Eigenbericht während eines Rechtspraktikums im neugegründeten Landratsamt in GRIMMA im Sommer 1990

"Ich war eben in ein Gespräch mit dem Kämmerer, dem Leiter des Dezernates 1 vertieft, als ein barsches Klopfen ertönte und zwei junge Männer auftraten, sich als die Vertreter eines westlichen Büromaschinenherstellers vorstellten und im sächsischen Dialekt auf unverschämte Art und Weise, gemäß einer schlecht angelernten Jungmanagermethode mit Überrumpelungstaktik Herrn Becker (den Dezernenten) aufforderten, ihr Angebot anzunehmen. Als dieser entgegnete, daß kein Geld zur Zeit verfügbar wäre, sagte einer von den Beiden, daß dies nicht möglich sein könne, warf ein paar Prospekte auf den Tisch, sagte, er werde in ein paar Tagen wieder vorbeikommen und rauschte grußlos mit seinem Kollegen ab."

 

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III.

 

1. Resultat

 

---- Das Scheitern des Sozialismus war systeminhärent angelegt, da für den einzelnen Menschen innerhalb der sozialistischen Gesellschaft ein Recht auf Freiheit real nicht existierte.

Dies hatte zu Folge, daß vor Allem systemerhaltende Kräfte in der DDR aktiv waren und lebendige Kräfte, d.h. Kräfte die die Verwirklichung eines Erfordernises anstreben, welches in der Zeit liegt, und die so für die Fortentwicklung einer menschlichen Gesellschaft unabdingbar sind, für diese nicht zur Entfaltung kamen.

 

 

---- Ein Handelnder hat die Verantwortung für seine übernommene Tätigkeit zu tragen. Er hat sich allein nach den konkreten Belangen auszurichten, die in direkter Beziehung zu seinem Tun stehen.

 

Beispiele:

-In einem Wirtschaftsbetrieb darf es nicht um die Erfüllung einer vorgegebenen Plankennziffer bei der Herstellung eines bestimmten Gutes gehen, sondern allein um den tatsächlich bestehenden gesellschaftlichen Bedarf.

-In einem Zellstoffwerk hat der Werkmeister volle Verantwortung für das Auströmen von Schadstoffen in natürliches Gewässer zu tragen, ohne daß es möglich ist, die Verantwortung für solches Tun unter dem Vorwand zu deligieren, daß der Betriebsleiter ihn zu jener Handlung bestimmt und gezwungen habe.

 

----- Ein innerhalb seines Tätigkeitsbereichs frei Handelnder bedarf stets der regelnden Kontrolle einer unabhängigen und weiter orientierten Instanz.

 

Beispiele:

- "Der letzte Parteitag der SED", (Kap.V) Bericht einer Gruppe ehemaliger Politbüro-Mitglieder)

"...Das Politbüro sei durch die Dominanz einzelner Genossen und die Konsequenz der anderen seit längerem kein kollektives Führungsorgan mehr gewesen ... Selbstkritik hätte nur stattgefunden, um die unfehlbare Autorität Honeckers zu bestätigen. Die Folge dieses Zustandes wären subjektivistische Entscheidungen, falsche Gesamteinschätzungen und Ignoranz gegenüber den Realitäten gewesen."

- ein Privatgespräch an Fastnacht/Karneval 1990, Schilderung eines führenden Managers bei "Ruhrgas-Essen")

" ...Ohne uns, was glaubst Du denn, was Da läuft, da läuft doch nichts, da läuft doch gar nichts mehr. Wenn zum Beispiel der Kohl ... "

 

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