MIRAS TIRADE
Ein Schauspiel
von
Michael Stoll
Die handelnden Personen:
GENOM ----- Der schillernde Part
Das Chamälion der Rollen
Das Vielgesicht, überlegen
MIRA ----- Junge Einzelhandelskauf-Frau
(Thysbe)
WILBUR ----- Chef einer Lebensmittelfiliale
(Pyramus) des Eubiorent - Konzern
KRONKOPF ------ Vorstandsvorsitzender des Eubiorent - Konzern
(Löwe)
HIPF ------ Vorstandsmitglied, aufsteigend
(Wand)
FRL.KRENZ ------ Sitzt an der Kasse der Lebensmittelfiliale
(Königin)
VERKÄUFERIN 1 ------ Arbeitet seit vier Jahren in der Filiale
(Mond)
VERKÄUFERIN 2 ------ Ist seit zwei Jahren in der Filiale
(Prinzessin) beschäftigt
VERKÄUFERIN 3 ------ Besitzt eine Tätigkeit in der
(Zuschauerin) Lebensmittelfiliale
Prolog des GENOM
Der kleingewachsene, bewegliche GENOM sitzt mit frechem Mienenspiel und leicht spöttischem Darüber-Blick auf der Rampe der Vorderbühne; die Füße schlendernd, erzählt er im Plauderton:
Die Geschichte eines Kartenverkäufers
Dieser Kartenverkäufer, von welchem ich Euch erzähle, dieser Kartenverkäufer, der wollte Karten verkaufen. (GENOM, mit den Füßen immer langsamer schlendernd, wartet gewählt, bis sich die Aufmerksamkeit des Publikums angemessen steigert, dann setzt er seine Rede fort.)
Dieser Kartenverkäufer hatte einen besonders ausgefallenen Verkaufstrick. Er stellte nicht die Güte der mit den Karten verbundenen Veranstaltung heraus, sondern er fing an, den Leuten unerträgliche Frechheiten, vermeintliche Frechheiten, ja fast Wahrheiten an den Kopf, in die Ohren zu werfen. (GENOM hält kurz inne, lächelt erschreckend offen ins Publikum.)
Und die Leute fanden den frechen Kartenverkäufer witzig und kauften ihm gedankenlos seine Karten ab. Der Kartenverkäufer machte ein gutes Geschäft. (GENOM spielt L a n g w e i l e , legt sich händeverschränkend rückwärts auf die Bühne, um plötzlich nach vorne zu schnellen und mit schamanischer Beschwörergestik seine Geschichte weiterzuerzählen.)
Und der Kartenverkäufer ging mit dieser Summe Geld auf einen Jahrmarkt. Der Kartenverkäufer sah auf diesem Jahrmarkt einen Blinden. Und dieser Blinde, der hatte eine dunkle Brille und ein großes Schild, auf welchem stand: (GENOM mit kurzer Lehrergeste, im Tempo innehaltend, sodann im vorigen Tempo)
"Ich bin blind". ---
Der Kartenverkäufer nahm nun seine Summe Geld, die Summe, welche er von dem Kartenverkauf hatte, und gab sie dem Blinden in die Hand, von diesem seine Brille und sein Schild erbetend.(GENOM schnalzt mit den Fingern und eine Bedienung kommt herbei. GENOM nimmt ein Glas Wasser entgegen und schüttet grünes Brausepulver hinein, rührt mit seinem Finger um, und leert sich die Brause schmatzend gierig hinab.)
So nahm der Kartenverkäufer die Brille und das Schild und ging in einen anderen Teil der Stadt und nahm die Brille und das Schild und malte auf das Schild die Worte hinzu: "Ich nehme nichts". Also stand auf dem Schild: "Ich bin blind" und "Ich nehme nichts".
Der ehemalige Kartenverkäufer und sich nun blind stellende stellte sich an einer Straßenecke auf und bekam soviel Geld, daß er (GENOM vollzieht eine Geste der Eigenpräsentation) davon zum Theater ging. (GENOM nickend)
Vorstellung der Schauspieler
GENOM (zu einer seitlich stehenden Bedienung gewandt): "Sag den Schauspielern, sie sollen aus der Kantine kommen und sich den Zuschauern zeigen."
Die Bedienung geht ab; GENOM wartet, leicht tändelnd, mit den Zuschauern auf Bewegung wartend. Nach einer Weile erscheinen die einzelnen Akteure des Stückes, für die Vorstellung je nach Erscheinen mehr oder weniger geschminkt und angekleidet. Sie werden von einem Scheinwerfer abwechselnd angeleuchtet, verbeugen sich nach ihrer kurzen Vorstellung vor dem Publikum, je nach eigener Manier.
GENOM stellt vor:
" MIRA, dies ist MIRA, unsere Hauptperson, 19 Jahre jung. Sie lebt seit einem Jahr allein in einer kleinen Wohnung; MIRA ist von ihrer Anstellung in einer Lebensmittelfiliale eines großen Lebensmittelkonzerns abhängig, da sie von zu Hause unabhängig sein möchte.
Und hier KRONKOPF, der große Chef der Eubiorent - Kette, jenes Lebensmittelkonzerns.
HIPF, ein ganz Strammer mit glattem Blick, ein sogenannter Aufsteiger.
WILBUR, der Chef unserer Filiale. Er schaffte den Sprung in die middle-class der Unternehmensstrategen über sein äußerstes Engagement in der Abteilung für Frischhaltekost. Sein früherer Chef wurde entlassen, WILBUR wurde für seine Anstrengungen im Betrieb, sogar in der Freizeit, belohnt und besetzt nun den Posten der Filialleiterstelle, weitere Entwicklungsmöglichkeiten stehen ihm noch offen.
FRL.KRENZ, ganz im Zusammenhang mit den Chefs zu nennen. Wer gerade den Filialleiterposten inneträgt, FRL.KRENZ hält ihrem Chef als Führerin der Kassenabteilung die absolute Treue und hilft gelegentlich bei persönlichen Diktierarbeiten der Chefs. FRL.KRENZ ist nett, und es kann auch sein, daß sie für die kurze Vormittagspause einmal einen Marmorkuchen für die Betreibsangehörigen bäckt, ohne dabei natürlich zu vergessen, ihrem Chef ein großes Stück mit Teller und Serviette zu servieren.
DIE VERKÄUFERIN 1; sie meint es mit allen recht und findet in der Arbeit absolute Beschäftigung. In der letzten Zeit wird die VERKÄUFERIN 1 um die Hüften ein wenig stärker, und ihre frühere zarte Gesichthaut scheint gröber zu werden. --- Ich bin recht grob, nicht?
DIE VERKÄUFERIN 2; sie hängt an einem Freund, der unglaublich gut verdient; die VERKÄUFERIN 2 läßt jedoch ansonsten kein Haar an ihm gut sein, was man von den Kolleginnen so hört.
DIE VERKÄUFERIN 3; (GENOM blättert in der zerfledderten Regieanweisung) Die Rolle der VERKÄUFERIN 3 --- (GENOM findet nichts in der Anweisung, winkt leicht hektiert den Abgang der Schauspieler herbei).
Und nun zu guter Letzt (er verbeugt sich)
ich, GENOM,
meine Bescheidenheit verbietet...
ich, GENOM! "
GENOM verbeugt sich noch einmal und geht dann regietreibend ab, die letzten Vorbereitungen premieretuschelnd mehr mit Worten, als mit tatsächlicher Hilfe, anzugeben.
1. Bild
Der Bühnenraum ist im Halbdunkel. Auf einer Seitenbühne hängen vier Preisauszeichnungsgeräte an vier silbernen Haken, diese sind ein wenig beleuchtet. In der Mitte der Hinterbühne befindet sich ein langer Tisch, an welchem Plakate mit lachenden Werbegesichtern befestigt sind. Die VERKÄUFERIN 1, VERKÄUFERIN 2, VERKÄUFERIN 3 und MIRA nähern sich mit Eubiorent-Arbeitsjacken (Farbe: Orange) im montagmorgendlichen Dahindämmern der Leiste mit den mechanischen Preisauszeichnungsgeräten und gehen, nachdem sich jede der Frauen ein Gerät vom Haken genommen hat, in Gewohnheit mit gleicher Manier auf den Tisch der Hinterbühne zu. Dort beginnen sie, den Zuschauern zugewandt, unter sich die lachenden Plakatgesichter, in ostinatem Rhythmus mit ihren Preisauszeichnungsgeräten routiniert wahllos auf den Tischen auszuzeichnen:
(Da in Folge einer kleinen Blende nicht bemerkt werden kann, ob Waren auf den Tischen liegen, erscheint das Verhalten der vier jungen Frauen ein wenig fragwürdig.)
Als dieser Rhythmus den Eindruck einer gewissen Monotonie erhalten hat, wird FRL.KRENZ wie von unsichtbarer Hand auf einer Palette mit ihrer Hauptkasse von der rechten Seite auf das hintere Ende der Vorderbühne geschoben. Sie bedient eine dieser elektronischen Kassen, welche nur noch das Hinüberziehen der Ware über ein Lesegerät erfordert, um den Warenwert eines Kunden zu ermitteln, eine sogenannte Scanner-kassse. Das Gesicht von FRL.KRENZ ist stark geschminkt und erscheint leicht angespannt.
Ihre Abrechnungsmimik, wie das monotone "Danke schön!" mit einem ebenso sich stets gleichendem Kopfnicken, hat etwas Beklemmendes an sich, zudem das muntere melodiöse Eigenspiel des Kassencomputers geradezu eine Bewegtheit darstellt.
In der Mitte dieses musikalischen Spiels läuft ein
Mann von ungefähr 50 Jahren, leicht hinkend, auf die Bühne. Er trägt die Kleidung eines gehobenen Angestellten, möglicherweise eines Diplomingenieurs, und hält in der Hand einen Beutel Milch (es steht ganz groß "MILCH" auf dem ansonsten weißen Beutel). Das fahl-weiße Gesicht des Angestellten wirkt angestrengt und läßt nichts Gutes ahnen. Mit seinem Auftreten wird die Hinterbühne leicht abgedunkelt, und auch FRL.KRENZ erhält weniger Beleuchtung. Die Geräusche der Preisauszeichnerinnen und der Kasse fallen über ein Decrescendo in ein Piano.
EIN KUNDE (blickt fahrig um sich): " Ich möchte jemanden von diesem Saftladen hier sprechen. Wer ist hier von diesem Saftladen ver-ant-wortlich? "
MIRA wird von der VERKÄUFERIN 1 angestoßen. Da sie zunächst des Kunden an dem Tisch beschäftigt ist, betritt sie die Vorderbühne, an welcher der Kunde wie ein zündgehemmtes, explosives Potential auf ein Opfer wartet.
EIN KUNDE: "Lesen Sie einmal das Haltbarkeitsdatum!"
(MIRA liest das Haltbarkeitsdatum)
"Und, was lesen Sie? - (EIN KUNDE wartet auf keine Antwort) - 20.3., und, was haben wir heute? Wir haben heute den 19.3.
Da, riechen sie mal!"
EIN KUNDE hält Mira den geöffneten Beutel unter die Nase. Diese zieht sich angewidert zurück; dies einerseits auf Grund der Säuernis der Milch, aber andererseits auf Grund der offensichtlichen Unverschämtheit des Kunden. Dieser münzt jedoch das abwehrende Gesicht der MIRA ganz auf die Reaktion gegenüber der sauren Milch und fühlt sich in seiner Wut gerechtfertigt.
Dies gibt nun seiner weiteren Haltlosigkeit genügend Raum.
"So, und jetzt sagen Sie mir einmal, wie das passieren kann!
Wie ist es möglich, daß ich am 19.3 eine Milch öffne, die ich in ihrem Laden gekauft habe, und diese Milch eine Haltbarkeitsgarantie bis zum 20.3. besitzt, und ich diese Milch in einem solchen Zustand in meinen Kaffee gieße? (MIRA reagiert nicht, dies steigert seine Wut und Hemmungslosigkeit) Wissen Sie, wo ich meine Milch noch kaufen könnte und in Zukunft kaufen werde und nicht darauf angewiesen bin, solche Schweinereien an meinem Frühstückstisch zu erleben? Und wissen sie, was ich mit dieser Milch machen werde, die mir heute Morgen die Lust genommen hat, meinen Kaffee zu trinken? ----- Ich sage Ihnen, so etwas lasse ich m i r nicht gefallen."
EIN KUNDE überlegt kurz, bis er zurücktritt und mit einer Peitschenbewegung die Milch quer über die Bühne schüttet, den Beutel MIRA vor die Füße wirft.
Danach läuft er sichtlich beruhigter und gelassener aus dem Blickfeld.
Nach dem Verschwinden des Kunden steigert sich das Geräusch der Preisauszeichnungsgeräte und der Kasse bis zu einer mittleren Lautstärke, ebenso ist die Beleuchtung zur Hälfte wieder in ihrem alten Zustand. MIRA nimmt im Halbdunkel den Beutel Milch auf und entfernt mit einem Eimer und einem Putzlappen routiniert die Milch vom Boden.
Nachdem diese Arbeit beendet ist, kehrt MIRA wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Musik und die Beleuchtung sind nun wie am Anfang des Bildes. Nach kurzer Zeit der Gewöhnung geht das Licht auf der Hinterbühne und der rechten Seitenbühne bei FLR.KRENZ allmählich aus, ebenso das Geräusch der Maschinen.
2. Bild
GENOM sitzt auf der linken Seitenbühne, auf dem Bühnenrand, nur hält er dieses Mal eine Gitarre in den Händen und leiert folgendes Liedchen:
" EI, DU, dei
was wär` die Welt
ja nicht, ohne --- (GENOM lächelt offen ins
Publikum)
ja, ich sag nun nicht,
(GENOM wackelt mit dem Kopf) --- Liebe
. ohne ... (Abbruch, GENOM probiert einen neuen
Akkord, vielleicht C6)
Ei, DU, dei
Was wär` die Welt
so leer
ohne -- Liebe (GENOM hat einen Schlagerrythmus
gefunden)
EI, DU, dei
Was wär die Welt
so leer
ohne Liebe (accelerando, Wdh. ad libidum)
Ein gewaltiger Lärm: Blechkrachen, Gestöhn unterbricht GENOMS Vortrag. Mit einem Male ist es vollständig dunkel. In der rechten hinteren Ecke der rechten Vorderbühne sieht man nach einer kurzen Weile ein Blaulicht leuchten. Von der Hauptbühne (dem Raum der Lebensmittelfiliale) strömen VERKÄUFERIN 1, VERKÄUFERIN 2 und vier Kunden, sowie über die beiden Aufgänge der Vorderbühnen je drei Passsanten.
GENOM läuft mit anbietender Geste - die Gitarre hängt nachlässig an seinem Körper - vor dem Publikum entlang und lädt die Zuschauer ein, nicht distanzverletzend, das Unfallgeschehen näher zu verfolgen.
Von der imaginatären Unfallstelle hört man es zwischen dem Wehklagen der Opfer murmeln und ratschlagen. Dieses Moment dauert jedoch nur an, bis das Blaulicht schwächer werdend langsam abstirbt. Nun gehen die Menschen zu ihrer kurz unterbrochenen Beschäftigung. Ihr Tempo ist fast ein wenig stärcker als vordem, da ein gewisser Zeitverlust intuitiv scheint ausgeglichen werden zu müssen.
Auch GENOM singt sein Lied weiter, das jedoch einen gewissen Ernst erhält, ganz kurz ist sein Spott in seinem Gesicht nicht mehr zu spüren, und auch die Leichtigkeit seines Vortrages scheint gebrochen, was aber schwerlich anzumerken ist.
Was wär die Welt
Was wär die Welt - ohne die Liebe"
3.Bild
Auf der Hauptbühne befindet sich ein langer Konferenztisch. Am Anfang des Konferenztisches sitzt KRONKOPF, im Profil dem Publikum gegenüber. Zu Seiten des Tisches sitzen je sechs Aufsichtsratmitglieder, allesamt bloße Pappfiguren, in grau bis blaugrau gekleidet. Zur rechten Hand des KRONKOPF sitzt HIPF, der junge stellvertretende Vorstandsvorsitzende, dessen Familie einen großen Teil der Aktien des Eubiorent - Konzerns besitzt und der eine quasi Vater-Sohn-Beziehung zu KRONKOPF unterhalten kann.
Die Zustimmung zu den Reden des Vorstandes des Eubiorent - Konzerns KRONKOPF erteilen die Pappaufsichtsratmitglieder durch Aufklatschen ihrer Papparme auf den Tisch, welche über Federn und einer Rollenkonstruktion mit Schnüren von KRONKOPF mechanisch bewegt werden.
KRONKOPF: "Wir haben gesehen, meine Herren, daß durch die Einstellung einer allorten, bis in das äußerste Subsystem fortschreitenden progressiven Arbeitszufriedenheit, wir in unserem Konzern eine Durchschlagskraft erhalten haben (Aufklatschen sämmtlicher Papparme), welche über die geschaffenen, störungsfreien Funktionsabläufe unseren Markteinfluß optimiert hat.
Dennoch empfinde ich es als Aufgabe, in vermehrtem Maße Kontrollmechanismen einzuführen, welche die Arbeitskräfte in Form des "human-capital" über Beobachtungsmethoden in seiner Produktionskraft zu registrieren fähig sind. (Aufklatschen...)
Nach der kybernetischen Managementlehre, --- (eine der Aufsichtsratmitglieder hat Probleme mit seinem Klopfarm, er bewegt sich ohne Impulsgabe des Vorsitzenden unablässig hinauf und hinab; erst in Folge eines energischen Klopfens aller Arme wird diese Störung beseitigt) --- nach der kybernetischen Managementlehre eines mir befreundeten Hochschuldozenten, EKS genannt, ist zu überlegen, wie die in jeder Produktivkraft innewohnende Evolutionsenergie in ihrer ganzheitlichen Entfaltung gesteuert und kontrolliert werden kann.
(Aufklatschen...)
Wir wissen, daß unser "management-by-control-and-directions-Programm" dazu geführt hat, Mitarbeiter der mittleren Führungsebenen in hervorragender Weise für den Dienst in höheren Führungsebenen zu testen. Ebenso können für die Mitarbeiter der untersten Delegationsebenen Stichproben ihrer Belastungsfähigkeit eingeholt werden. (Aufklatschen...)
Deshalb schlage ich vor, am 27.März mit kurzer Ankündigungsfrist einen Aktionstag durchzuführen.
Dies soll für uns Gelegenheit sein, die betrieblichen Klimata kennenzulernen und außerdem auf jeder Ebene Leistungkontrollen durchzuführen. (Aufklatschen...)
Auf der rechten Seite der Hinterbühne können aufmerksame Zuschauer bemerken, wie ein Kind mit seinem Fahrrad kurz die Bühnenecke durchfährt. Hinter ihm läuft die Mutter, die Stützräder in den Händen.
KRONKOPF nimmt ein Fahrrad, welches an die hinteren Pappfiguren angelehnt und für die Zuschauer bisher nicht sichtbar gewesen war, legt sich einen Gurt um und fährt mühselig mit dem Tisch, welcher auf einer fahrbaren Platte steht, in Richtung der linken hinteren Ecke der Hinterbühne hinaus.
4.Bild
Alle Darsteller stehen in einer merkwürdigen Weise nebeneinander auf der gesamten halbdunklen Bühnenfläche verteilt, in einer Haltung wie beim Warten an der Kinokasse oder am Schalter eines Kreditinstitutes.
GENOM geht zu MIRA.
GENOM: "He Du, Mira, hast Du kurz Zeit!? Ich will
Dich etwas fragen."
MIRA: "Ich weiß nicht, ich müßte eigentlich..."
GENOM: "Ich wollte dich fragen, Mira, ob Du uns etwas von Dir
erzählen könntest? "
Mit dieser Frage des GENOM ziehen die anderen Darstelller, quasi als Unbeteiligte, unauffällig ab; die Hinterbühne wird völlig abgedunkelt;
MIRA und GENOM stehen im gleißenden Scheinwerferlicht.
MIRA: "Was soll ich Dir denn erzählen?"
GENOM: "Na zum Beispiel, ob Du Dich hier im Theater wohlfühlst?"
MIRA: "Nein, hier ist Alles so fremd."
GENOM: "Und wo, Mira, wenn Du diese Fragerei noch ein wenig
erlaubst, denn unsere Zuschauer sind neugierig, wo
fühlst Du Dich denn am wohlsten?"
MIRA: "Ich glaube nicht, daß dies irgendjemand interessiert."
GENOM: "Wir sind in einem Theaterstück, ich kann die Menschen
hier nicht anfragen wie auf der Straße, aber ich nehme
an, daß dies unsere Zuschauer hier interessieren
könnte."
Der Raum dunkelt nach hinten ab, MIRA läßt GENOM stehen, verschwindet wortlos in das Dunkel.
GENOM blickt nachdenklich, zieht einen Stoffbären aus seinem geräumigen Mantel und setzt ihn rechts vorne auf die Vorderbühne, mit Blick auf die Hauptbühne.
Nun läßt sich GENOM neben den Bären nieder und blickt erwartungsvoll auf die Hauptbühne.
Intermezzo
(I)
Langsam wird die Hinterbühne von einem tiefen, milden Blau durchstrahlt. An der rechten und linken Seite der Hinterbühne werden zwei Standtrommeln aufgestellt. Zwei Spieler, ganz in weiß gekleidet, und so in Blau erscheinend, treten mit ruhigen Schritten, aus den jeweiligen Ecken kommend, auf eine der Trommeln zu; diese beginnen aus einem fast unhörbaren Rhythmus heraus zu erklingen:
Trommel (rechts):
Trommel (links) :
Die Zartheit und die Bewegtheit des Spiels bricht mit den abwechselnd herausgefordernden Dynamikschwankungen nicht ab.
Nach diesem Vorspiel, allein der Musik, treten eine Tänzerin von der rechten Seite und ein Tänzer von der linken Seite auf die Bühne und beginnen mit dem wiederum einsetzenden Spiel der Trommeln, dem rhythmischen Spiel mit ihren Körpern zu folgen. Beide sind in Rot gekleidet, was sichtbar wird, indem zwei rote Lichter den Tanz der Beiden verfolgen. Die Bewegungen sind leicht, gespannt und doch voller Kraft.
Immer stärker und dichter wird das Band der beiden Tänzer, ebenso der ostinate Rythmus acceleriert, führt, treibt die beiden Tänzer in die höchste Bewußtheit, nicht Ekstase.
Am höchsten Bewegungspunkt, einer erreichten Einheit der beiden Tänzer, bricht der Tanz, der bewegte Rhythmus ab, das Licht erstirbt, und in das Dunkel ertönt die Melodie einer Flöte.
Ihre Melodie ist schlicht und alles, was sie in den Raum trägt, ist eine gesammelte Ruhe, welche sich sachte, gleich einem unendlichen Wellenschlag, austrägt...
5.Bild
Nach dem letzten Verebben des Flötentones wird es schlagartig hell. Ein Spind steht rechts schräg auf der Hauptbühne, davor ein Holztisch mit Stühlen. MIRA und die VERKÄUFERIN 1 sitzen am Tisch; sie haben eine kurze Pause.
Bevor noch ein Wort zu hören ist, senkt sich ein großes Plakat vom Bühnenhimmel und verdeckt sowohl die Protagonistin als auch die VERKÄUFERIN 1.
Auf dem Plakat ist folgender Text mit großen Lettern vermerkt:
MIRA, das ist die Verkäuferin, welche
die Milch auf dem Boden des Supermarktes
aufwischte, will mit einem Freund in den Urlaub fahren.
MIRA freut sich schon sehr auf diesen Urlaub.
Endlich mal Alles hinter sich lassen!
Aber wenn da nicht der ehrgeizige junge Filialleiter des
Supermarktes wäre, der unbedingt weiterkommen will, den
die weiteren Interessen seiner untergebenen Mitarbeiter
überhaupt nicht interessieren.
Er schafft einen satten Strich durch die Planung der
MIRA, nimmt ihr auch noch die Freude auf ihren Urlaub:
Das Plakat entschwindet nun wieder im Bühnenhimmel.
MIRA: "Du, ich freu mich ja schon so auf den
Urlaub. Wir haben uns ein Zelt ausgeliehen."
VERKÄUFERIN 1: "Das ist das erste Mal, daß Du..."
WILBUR hetzt herein, unterbricht ohne Vor-sicht das Gespräch.
WILBUR:"Ah, da seid ihr ja! Zwei Dinge: Die Sendung von Streusand muß morgen auf den Tischen liegen, da wir nächste Woche noch etwas hereinbekommen. Dann, Mira, das mit deinem Urlaub die nächste Woche klappt nicht. Wir haben überraschend, und das betrifft wieder Euch Beide, einen Aktionstag mit Obst, Freibier und dem ganzen Zeug. Die Chefs von Oben führen eine Visite durch, und es ist für uns wichtig, daß alles tipp topp läuft; aber wir schaffen das schon."
WILBUR hetzt aus dem Raum.
MIRA: "Nein, das geht doch nicht!"
VERKÄUFERIN 1: "Das ist aber schade..."
LAUTSPRECHER: "Frl.Hoffmann, bitte zur Kasse, Frl.Hoffmann!"
VERKÄUFERIN 1: (Wieder voll und ganz in der Tätigkeit)
"Tschüß Du, wir unterhalten uns nachher noch
darüber."
(Gibt MIRA ein kurzes Streichen über den
Arm und geht ab.)
GENOM gibt dem Publikum ein Zeichen still zu sein, und geht auf MIRA zu, die den Kopf in die Hände gestützt am Tisch kauernd verharrt.
GENOM setzt sich neben MIRA an den Tisch, legt einen Arm um ihre Schultern. MIRA scheint GENOMS Anwesenheit überhaupt nicht zu spüren.
GENOM: "Warum arbeitest Du hier, MIRA, wenn man mit Dir
so umgeht?"
MIRA: "Mir macht es eigentlich schon Spaß, ich weiß nichts
Anderes, vor allen Dingen brauch ich das Geld. Ich
leb nicht mehr von den Eltern."
GENOM: "Aber willst Du wirklich diese Arbeit?"
MIRA: "Ach, ich weiß auch nicht."
GENOM: "Du, MIRA, sprichst Du mit jemand über Dich?"
MIRA: "Wer hört denn schon zu, jeder will etwas, braucht etwas,
ich versteh es ja auch."
GENOM: "Ich denke, daß es gut sein könnte..."
LAUTSPRECHER: "Frl.Rena, bitte zur Frischhalteabteilung."
MIRA geht automatisch, ohne Warten, in Richtung Hinterbühne, verschwindet im Dunkel.
6.Bild
GENOM nimmt den Bären in die Hand und setzt ihn auf den Bühnenrand, nachlässig, daß dieser vornüber von der Bühne kippt.
Er läßt sich ein wenig traurig wirken:
GENOM:
"Ich denke, daß wir hier MIRAS TIRADE abbrechen.
Ich erkläre weshalb:
Das Stück, so die Ankündigung, heißt MIRAS TIRADE.
Das Wort TIRADE ist aus der französischen Sprache entlehnt. Seine
gewordene Bedeutung entspricht in etwa einem "Worterguß", einer
"Befreiung mit Worten". Konkret sollte also die MIRA sich
irgendwo in dieser, ihrer Lebenssituation, befreien können,
sollte vorerst vielleicht sie all den Zwangsidioten, dem WILBUR,
ja vielleicht sogar dem KRONKOPF ihre Meinung sagen und sich dann
wandeln können, sprich ihre Situation an diesem Ort verändern.
Apropos des Wörtchen wandeln, auch hier läßt sich eine Beziehung
zum Wörtchen Tirade herleiten: So bedeutet das französische Wort
tirer unter anderem "sich wenden".
So meint "MIRAS TIRADE" ferner, die Wendung der MIRA
oder die Wandlung der MIRA.
Aber nein, einem Schmetterling im Larvenstadium gleich die Hülle
abzustreifen , um alsdann vondannen zu fliegen, nein , urweit ist
unsere MIRA hiervon entfernt.
Fest und stabil hängt die MIRA in diesen Verhältnissen.
So ist in dieser Maschinerie, in dieser speziellen Situation der
Lebensmittelmaschinerie des Supermarktes, wie ich sie für unsere
MIRA vorfinde, also allein angesichts dieser wenigen Bilder, die
wir gesehen haben, -- nein, schrecklich, da ist doch nichts, aber
auch gar nichts möglich, was irgendwie ein Veränderung, eine
Wendung, na ja, halt irgendetwas zuzulassen scheint für unsere
MIRA, daß sie sich wohler fühlen kann, denn das wäre doch das
Wichtigste. Meine Feststellung lautet:
Ich sehe keine Möglichkeit, daß sich die MIRA in der Kürze eines
Theaterstückes sich hier einmal wohlfühlen könnte.
Nun ja, natürlich ließe es sich grundsätzlich einmal diskutieren,
ob nun der äußere Rahmen so wichtig ist, also hier die
Lebenssituation der MIRA, daß sich ein Mensch entwickeln kann,
daß heißt, daß unsere MIRA einen Freudenluftsprung, zumindest
einmal am Tag, notwendigerweise vollziehen muß, damit meine ich,
um die wunderschöne scharfe und würzige Luft der Freiheit durch
ihre hübsche Nase ziehen lassen zu können.
Natürlich können wir das nicht im Verlaufe eines unterhaltenden
Theaterabends, wie er doch wohl zu sein hat, ausdiskutieren, aber
immerhin, ein kleiner Trost für uns alle: es ist doch
interessant, so einen Menschen wie die MIRA in den gesehenen
Bildern einmal wahrzunehmen, so richtig unfrei, oder nicht?!
Aber dramaturgisch, sozusagen spieltechnisch, stellen sich mir
doch gewaltige Probleme, aus dieser unfreien Situation quasi im
Nullkommanichts ein nettes Freiheitsmärchen zu entwicklen.
Nein, ich gestehe es, aus der angefangenen Stücksituation heraus
kann ich keine Fähigkeiten meinerseits wahrnehmen, als
Theaterleiter natürlich in größter Verantwortung stehend,
angesichts der Kürze der Zeit unsere MIRA in dieser Sphäre zur
Freiheit zu führen.
MIRA kann hier und so nicht frei werden, also hat das ganze Stück
keinen Wert, Punkt um, Komma , Schluß!
Das Stück MIRAS TIRADE ist somit beendet. -------
Aber Halt!
Dem Ruf unseres Theaters zuliebe und vor Allem hinsichtlich der mangelnden Bereitschaft unsererseits, das Eintrittsgeld zurückzuerstatten, bitte ich Dich doch, verehrtes Publikum, ein wenig die Pausenbeine zu vertreten, und dann, in ca. achteinhalb Minuten, zum "Thysbischen Zwischenspiel" wieder zu erscheinen.
Das wird, ich verspreche es, so ein richtiger Leckerbissen für die verbliebenen Theaterfreunde, mit Tanz, Musik, Komik und viel, viel Spaß, gell?!
(Zur Bedienung gewandt) Ruf mir bitte sämtliche Spieler auf die Bühne!"
GENOM stellt nun eine ausgesprochen gute Laune vor. Die Hände in den Hosentaschen wippt er vor sich hin und geht voller Schalk auf der Bühne hin und her, reibt sich auch kurz die Hände.
Die Akteure kommen auf die Bühne.
GENOM:
"Liebe Kollegen, wundert Euch bitte nicht über den ganz allgemeinen Wunsch, der hier geäußert wurde, aber wir können MIRAS TIRADE nicht weiter aufführen wie vorgesehen, da ganz allgemein der Wunsch geäußert wurde, es abzubrechen. Leider haben wir zur internen Diskussion keine Zeit, sondern ich bitte Euch rasch, rasch auf das "THYSBISCHE ZWISCHENSPIEL" vorzubereiten. Die Kostüme aus MIRAS Tirade können angelassen werden.
Ich sehe Euch in achteinhalb Minuten zur ersten Szene."
Die Schauspieler sind ein wenig verwundert, aber sind rechte Schauspieler und können sich auf die veränderte Situation sofort einstellen, gehen rasch ab.
ZWISCHENLIED
GENOM setzt sich auf den Bühnenrand, grinst kurz ins Publikum,
holt seine Gitarre und singt das
Wenn-der-Käsekuchen
nicht-so-bröselig-wär-Lied
Es war einmal ein Käsekuchen, der wartete auf das
Geburtstagskind
Und
Es war ein kleiner Bäckerjunge
der buck einen Kuchen das erste Mal
So frage nur den Käsekuchen
wer heute Geburtstag hat
Und ich sage Dir, der Bäckerjunge
der Bäckerjunge ist es nicht
Die Sonne brennt auf den Geburtstagstisch
und der Käsekuchen mag das nicht
Als das Geburtstagskind endlich versammelt war
um den Geburtstagstisch
Da hatte sich der Käsekuchen
kurzum verbröselicht
Und das Geburtstagskind, das weinte!
Und das Geburtstagskind, das rannte zum Backhaus und schrie!
Und sagte zum Bäckerjungen: "He Du mit dem Kuchen,
verbröseldich, Warst Du das mit dem Kuchen nicht?!"
Und der Bäckerjung ganz mehlig im Gesicht
ward rot, denn das Geburtstagskind, das liebte er
ganz jämmerlich
"Das mit dem Käsekuchen", ganz stolz er rief
"war ganz alleine ICH!"
Es bröselt sich, es bröselt sich
der Käsekuchen vom Sonnenlicht
Und ganz zuletzt sah ich das Geburtstagskind
mit seiner Freundesschar
zum Backhaus nebenan geschwind,
wo es einen frischen Kuchen gab
Und der Bäckerjung vom Boden hob, die Brösel
weinte bitterlich"
Rollenverteilung <THYSBISCHES ZWISCHENSPIEL>
GENOM : Prologikus
MIRA : Thysbe
WILBUR : Piramus
KRONKOPF : Löwe
HIPF : Die Wand
VERKÄUFERIN 1 : Der Mond
VERKÄUFERIN 2 : Der Brunnen
AUFSICHTSRATMITGLIEDER: Könige - Zuschauer
FRL.KRENZ : Königin - Zuschauer
VERKÄUFERIN 3 : Prinzessin Violandra, ebenfalls als
Zuschauerin agierend
Einführung des GENOM zum THYSBISCHEN ZWISCHENSPIEL
GENOM setzt sich einen schwarzen Zylinder auf und setzt sich im Schneidersitz in die Mitte, ganz vorne auf den Bühnenrand; Dabei hat er wie ein Moritatenerzähler einen Stock in der Hand und zeigt mit Hilfe einer Bilderfolge, welche die Bedienung aufklappt, was er erzählt:
"Ovid, der die Metamorphosen der Liebe schrieb,
Shakespeare, der Tölpel Possen reißen lies
Andreas Gryphius in seinem Barockwerk eines gewissen
Herrn Squenz;
all jene erzählen von einem kleinen Spiel, einem Schauspiel, in welchem Schauspieler eine tragische Liebesposse veranstalten.
(
1.Bild: "DAS THYSBISCHE ZWISCHENSPIEL")Und auch in diesem Theater (GENOM breitet seine Hände aus); und auch in diesem Theater soll sich diese berühmte Geschichte von dem tragischen Tod der beiden Geliebten "Piramus und Thysbe" ereignen.
Piramus und Thysbe, ein junger Mann, eine junge Frau aus zwei miteinander befeindeten Familien haben sich ineinander verliebt.
Sie verabreden sich trotz Verbots an der sie voneinander trennenden Mauer, der Gartenmauer, welche die Hausgrundstücke der beiden Familien voneinander trennt. Zum Glück hat jene Mauer ein Loch.
(
2.Bild)Piramus klagt der Thysbe sein Liebesleid durch das Loch in der Mauer.
Thysbe verspricht Piramus zu helfen und zieht ihm den verderblichen Liebespfeil.
(
3.Bild)Doch dieser Pfeil hat nun seinerseits die Thysbe verletzt.
Piramus tröstet Thysbe und lädt sie zu einem Rendezvous an einen Brunnen.
(
4.Bild)Dorthin kommt Thysbe jedoch zu früh.
Ein Löwe taucht auf. Thysbe erschrickt, läßt ihren Mantel fallen, und läuft davon.
(
5.Bild)Der Löwe, eine Löwin, ist trächtig und wirft ihre Jungen auf den Mantel.
(
6. Bild)Als Piramus verspätet auf der Bühne auftaucht, trifft er nur den blutigen Mantel von Thysbe an.
Er glaubt, daß Thysbe tot sei und ersticht sich vor Gram mit einem Dolch.
(
7.Bild)Als Thysbe den erstochenen Piramus bei ihrer Rückkehr antrifft ersticht sie sich ebenfalls.
(
8.Bild)(GENOM zur Bedienung gewandt) Ruf bitte die Spieler!"
1.Bild
Die Bühne ist hell erleuchtet.
Vereinzelt sind Blumen auf der Bühne verteilt, sie deuten einen großen Garten an.
Mit einem Male hört man den klaren Klang einer E-Gitarre.
Vorne am Bühnenrand liegt ein großer Kokon eines Schmetterlings.
Thysbe (MIRA) entsteigt dem Kokon. Auf ihrer Eubiorentjacke sind zwei wunderschöne Schmetterlingsflügel befestigt, die sie sacht abstreift und mit dem Kokon beiseiteschiebt.
Leicht tanzend, sich im Rhythmus wiegend, geht Thysbe (MIRA) an den vorderen Bühnenrand und singt mit klarer Stimme:
" Vor ein paar
langen Jahren,
da lag ein
schwerer Stein,
einem Bär ganz tief
im Magen;
- und machte ihm das Schaffen
schwer
Da kam ein
junger Schneider,
und blies auf einem
Kamm,
da kamen viele
Mücken;
- und tanzten auf dem Bärenrücken
zu dem Schneiderkamm
Dies kitzelte
den armen Bär,
der mit dem Stein
daniederlag,
und dieser alte
Zottelbär;
- der fing zu tanzen
an
Es sahen dies
viele Leute,
und wunderten sich
gar sehr,
bis eines
schönen Tages,
dort tief am
roten Strand,
wo einst der Bär
mal tanzte,
auf einem Stein
geschrieben stand:
- Hier tanzte einst ein Zottelbär
und dem Bär, dem lag ein schwerer Stein,
ganz hart und tief im Magen,
bis es einen "Flock" mal tat,
und der Bär den Stein,
im Tanz verlor.
(Wdh.: ad lib.)
Nachdem Thysbe (MIRA) gesungen hat, pflückt sie Blumen. Nun kommt die Wand (HIPF) herein und baut mit vielen zusammengeklebten Milchtüten eine Wand auf. Über seinen feinen Anzug hat er einen weißen Kittel gezogen auf dem das Wort "Wand" geschrieben steht.
Als er mit seinem Bau fertig ist, stellt er sich wie ein Wachposten neben der Mauer auf.
Nun kommt WILBUR als Piramus auf den Plan.
Sein Gesicht wirkt wie in "MIRAS TIRADE" immer noch gehetzt.
Er geht zu der Seite der Mauer, an welcher sich Thysbe, die immer noch frei auf der Bühne umhergeht, gerade nicht befindet, blickt durch eine Lücke in der Mauer und ruft:
"Thysbe, Thysbe bist Du da?"
Thysbe: "Ja!"
Piramus: "Thysbe, Thysbe wo bist Du?
Komm, komm schnell her!"
Thysbe: "Komm Du doch her." (riecht an einer Blume)
Piramus: "Ich kann nicht, ich kann doch nicht!"
Thysbe: (Sie geht an die Mauer, blickt auf den verkrampft am
Loch sich reckenden Piramus, geht zu ihm und ruft)
"Hallo!."
Piramus: "Oh Thysbe, meine über alles geliebte Thysbe."
(Thysbe bückt sich in diesem Augenblick nach einer
Blume.)
Thysbe: "Ja, Piramus!"
Piramus: "Diese ekelhafte Wand hindert uns daran,
ganz zusammen zu sein.
Ich will ganz bei Dir sein!
Ich will, daß wir ganz zusammen sind."
(Er reckt beide Hände wie ein Gefangener
durch die Lücke in der Mauer)
Thysbe: (dreht sich zum Publikum)
Es war einmal
ein Sonnenstern
der brannte
lange Zeit
Als dann kam
der WOLKENKOMET,
war gelöscht
das Licht,
ganz kraß und kalt
Als sie dann
im Dunkeln saßen
in der Nacht
so tief allein
Da schreckten
schlafen
viele Menschen auf
und schrien:
"Warum nur, warum ist`s
so Nacht,
so kalt
und soo so
Nacht!?"
Thysbe nimmt nun die Hände des Piramus und will sie sacht durch das Loch zurückleiten. Piramus hält jedoch ihre Hände wie ein Ertrinkender umklammert und ruft:
"Thysbe, über alles Geliebte!
Thysbe, bleib bei mir!
Ich will Dir etwas sagen, etwas geben,
heut Nacht.
Heut` Nacht, am Brunnen unbedingt!
Du mußt kommen, unbedingt!!
Kommst Du heut Nacht an den Brunnen?
Ja, kommst Du!?
Ich muß Dich sehen.
Unbedingt muß ich dich sehen!
Komm, bitte komm, unbedingt.
Du mußt k o m m e n!!
Hörst Du Thysbe, Du mußt , Du mußt
einfach kommen,
Du über Alles Geliebte
heut Nacht an den Brunnen!
Ja, kommst Du!?
Bitte komm!!"
Thysbe: "Natürlich Piramus, wenn Du willst, daß
wir uns heute Nacht am Brunnen sehen, dann werde
ich gerne kommen."
Nun nimmt die Wand die Milchtüten und geht von der Bühne seitlich ab.
Piramus steckt wieder mit seinen Händen in der Mauerlücke und läuft quer ab, wie ein Gefangener.
Das Licht (weiß) geht nun allmählich aus und im Gleichklang hierzu wird auf der Vorderbühne das Licht (grün) angedimmt.
GENOM sitzt in einem Haufen Milchtüten, hat einen grünen Spechtschnabel an und trägt an jeder Hand eine kleine Spechtmarionette.
(Sprechgesang / zwei Sticks machen Spechtepicken nach)
GENOM:
"Was auf der
anderen Seite
der Mauer lebt,
ist das
Beste,
Schönste,
Größte,
...einfach
BEGEHRENSWERTESTE
Was auf der anderen
Mauerseite
lebt,
das ist einfach
das Größte,
unentdeckt Geheimste,
einfach
unglaublich
reiz - voll
anders
Und -
was auf der anderen
Mauerseite
steht,
bekommt Ihr nur
durch Hacken,
Hacken,
Stein zerbracken
Du, Du, Du, Du, Du
Dumm, Dumm, Dum
...
sagte der kleine Specht und forderte
die anderen Spechte auf,
zu hacken
hin, durch
die Mauer
hin zur
- Na, was glaubt
Ihr?
Hi, Hi,
Na, Du, Du, Du, Dupp
Na klar!
Sabadabada
Zur W ü s t e
Nur, dum, dum
Dubi di dumm
Hacken, Hacken
denn,
Ihr müßt Euch
vor - stellen:
Was auf der anderen
Seite der Mauer
lebt ..." (Wdh.:ad lib.)
2.Bild
Ohrenbetäubend schrillt eine Trillerpfeife durch den Raum. Ein Kind (es ist dasselbe Kind, welches im 3.Bild von MIRAS TIRADE mit seinem Fahhrad kurz über die Bühne fuhr) sitzt in der Mitte der Hauptbühne und bläst voller Begeisterung mit großer Ausdauer auf einer Schiedsrichterpfeife.
Neben ihm verharrt die VERKÄUFERIN 1 als Mond, die eine Stange in der Hand hält, an welcher eine kreisrunde, gelbe Scheibe befestigt ist, auf welcher ein gutmütig lächelndes Gesicht aufgemacht ist; ebenso wirkt im Übrigen das Gesicht der VERKÄUFERIN 1.
Nach einer kurzen Weile hört man ein energisches Klappen der Arme der PAPPAUFSICHTSRATMITGLIEDER, Könige darstellend, welche mit FRL.KRENZ als Königin im Zuschauerraum sitzen. Die Königin blickt abgöttisch während dem Ziehen an der Schnur auf die Pappherren.
Nachdem dies geschehen, starrt sie geradeaus auf die Bühne.
Dort ändert sich nichts.
Ungefähr viermal wiederholt sich dieses Spiel, bis die
Königin spricht:
"Hallo, ha-llo, Sie, Mond, hören Sie denn nicht. Sie sollen das Kind nehmen und es von der Bühne entfernen.- Merken Sie denn nicht, daß es stört,- daß dies nicht in die Ordnung des Spiels gehört!
(Klappen der Arme der Könige)
Ja, merken Sie denn nicht das Unwohlsein des Publikums. Sie sind auf der Bühne und tragen vollste Verantwortung!"
(Klappen der Arme der Könige)
Die VERKÄUFERIN 1 lächelt bloß, wie sie es als Mond (gelernt) zu tun hat.
Mit einem Male fliegt ein Schmetterling quer über die Bühne; sichtbar von einem Bühnenarbeiter in einem weißen Overall an einem starken Draht bewegt.
Das Kind sieht dies und läuft dem Schmetterling aus Neugier hinterher.
Die Königin verschränkt ihre Arme und sinkt in ihren Sitz zurück, dabei verrutscht ihr ein wenig die Krone.
Der Mond lächelt noch immer recht gutmütig und beginnt dann, leierartig, folgendes Lied zu singen:
"Guter Mond
hier ruhe ich
so stille
und halte Wacht
die ganze stille
Nacht
Halte Ruh'
in allergrößter
Muße
warte auf das
holde Liebespaar
Damit es
allhier wohl sich fühle
träfe wie
zu alter, alten
guten Zeit
Guter Mond
hier ruhe ich ... (Weiter so ad lib.)"
Der Mond wird von einem Lärm aus seinem Singsang aufgeschreckt.
KRONKOPF, als Löwe, hält in seiner rechten Hand einen langen Löwenschwanz und peitscht damit nach der sich tanzend bewegenden Thysbe, wie ein ungeübter Dompteur.
Diese lacht und tanzt mit ihm einen Ringeltanz um den Mond.
Es entsteht ein Sprech - wett - gesang.
Löwe: "Ich sagte Halt!"
Thysbe: "Was Du nicht sagtest."
Löwe: "Ich ordnete an, Stopp!"
Thysbe: "Babl di Bopp."
Löwe: "Ich brauch Sie doch nicht
auf die Konsequenzen ..."
Thysbe: "La, La, La ..."
(trällert eine Verführungsmelodie der Carmen
aus der Oper "Carmen" von dem Komponisten Bizet)
Der Löwe baut sich auf und holt zu einem mächtigen Schlag aus.
Thysbe zieht ihre Eubiorent - Jacke aus und spielt Torero.
Da taucht die VERKÄUFERIN 2 als der Brunnen unvermittel aus dem Bühnenhintergrund auf und macht vor dem Löwen einen Knicks;
der Brunnen ist durch ein Schild mit der Aufschrift "Brunnen" dargestellt, sowie durch die geöffneten Arme der VERKÄUFERIN 2.
Brunnen: "Wo bitte, Herr Löwe, wäre es Ihnen
recht, daß ich mich für diese Szene
aufstelle?"
Löwe: "Ja, stellen Sie sich dort, ja, dort
auf; nein, nicht dort, - Da! Ja, so ist es
gut, bleiben Sie so!"
Thysbe hat einen Farbtopf, auf dem "Rote Farbe" steht, geholt und tunkt den Löwenschwanz, welcher nun bei dem befehlenden Löwen hinunterhängt in den Topf.
Daraufhin läuft Thysbe davon und reizt den Löwen.
Der Löwe, gestärkt über die Bekräftigung seiner Autorität durch die VERKÄUFERIN 2, holt zum Schlag aus, trifft jedoch nur die Eubiorent - Jacke, welche ihm Thysbe vorhält; beim verdutzten Zurückschrecken klatscht er sich den Schwanz mit roter Farbe ins Gesicht.
Er kramt einen mitgebrachten Handspiegel aus seinem Jacket, blickt in sein rotverschmiertes Gesicht, brüllt vor Wut auf und verläßt den Bühnenraum, stelzend.
(Wechsel der Bühnenbeleuchtung für den folgenden Auftritt GENOMS)
GENOM sitzt auf einer Wippe, auf der rechten Vorderbühne, allein, und singt ein Lied zu einer Gitarre, auf einem Ton (D):
"Perona Saveira
war ein großer Gauner
Perona Saveira
der raubte All-es
was nicht niet --
und nagelfest
verführte alle Weiber
Perona Saveira
Eines Tages gingen
in der Stadt
einer großen
modernen
postmodernen Stadt
die Lichter aus,
denn es fehlte
mit einem Mal
der Strom.
Wdh.: Perona Saveira
...
Nichts ging mehr
in dieser großen
Stadt.
Alle Leute saßen
zu Hause,
vor ihren langsam
erkaltenden Fernsehern.
Die Lichter waren
alle aus
und sämtliche
Haushaltskerzen
in dieser großen
Stadt
wurden hervorgeholt.
Wdh.: Perona Saveira
...
Mit einem Male
tat es einen großen
Knall,
ganz nahe
der öffentlichen
Bedürfnisanstalt;
Es war der Sekt-
korken von
der Sektflasche
des Perona Saveira,
der mit seinen Freunden
feierte.
Sein neuestes
Galgenstückchen war
geglückt:
Perona Saveira
hatte die
Riesensicherung
aus dem städtischen Stromkraftwerk
geklaut -
er, der größte Gauner
Perona Saveira."
Wdh.: Perona Saveira
...
3. Bild
Auf der Bühne ist es dunkel.
Nur der Mond leuchtet wie eine Laterne zu `Sankt Martin`.
Da zittert das Licht einer Petroleumlampe von links in den Bühnenraum herein.
Ängstlich verstohlen blickt der hereinkommende Piramus nach rechts und links, bis er am Brunnen angekommen ist.
Er hängt die Petroleumlampe an den Brunnenrand, den Daumen der VERKÄUFERIN 2, so, daß deren Gesicht wie eine Teufelsfratze wirkt.
Nun läuft er tapsig nach links und rechts, ab und zu auf seine Quarzuhr blickend.
Auf einmal stolpert er über die Eubiorent - Jacke von Thysbe.
Er bückt sich und hebt sie auf. Da bemerkt er die Farbflecke. Ein Gewitter-Donnern ist zu vernehmen. Entsetzt blickt Piramus auf und rauft sich die Haare. Die Arie der `Königin der Nacht` ertönt. Blinkend sieht man ein Schild mit der Aufschrift <Kurzschluß> im Bühnenhintergrund aufleuchten.
Piramus zieht einen Plastikdegen und richtet ihn gegen sich. Obgleich das billige Ding abbricht, blickt Piramus es voll schmerzerfüllter Miene an und fliegt ohnmächtig werdend um.
GENOM tritt auf. Er hat eine alte "Oberlehrerbrille" auf, sowie alte Frackstöße an und trägt einen Zeigestock.
GENOM beginnt zu sprechen:
"Die Wahrnehmung
Die Wahrnehmung ist ein
heiliges Tier
welches nie geschlachtet
werden darf,
denn die Wahrnehmung
gilt als heilige
Notwendigkeit
einer Ermöglichung
der Weltsicht.
Nun, nehmen wir
einen Fall der
Liquidierung d. echten
Wahrnehmung.---
GENOM läuft zu dem daniederliegenden Piramus.
Er hebt mit seinem Stock die Eubiorent-Jacke.
Dieser junge Mensch,
offensichtlich ohnmächtig,
der hier daniederliegt
hat die Weltsicht
nicht klar genug
wahrgenommen,-
ihm fehlte die
Wahrnehmung.
Hätte er nämlich
ein wenig wahrgenommen,
hätte er nicht
sofort
an den blutigen Tod
seiner Geliebten
gedacht,
sondern er hätte,
ein wenig,
an dem roten Saft gerochen,
vielleicht
- da dieser doch ein wenig getrocknet -
ein wenig daran geschmeckt
und der junge Mensch hätte sich gesagt:
"Nein, das ist kein Blut, das ist Ölfarbe!"
Und weiter,
bleiben wir noch ein wenig bei diesem jungen Mann -
GENOM hebt den Plastikdegen auf.
- Führte so das gänzliche Fehlen einer Wahrnehmung
hinsichtlich eines mutmaßlich erfolgten MORTUS
seiner Geliebten
zu dem ebengesehenen Versuch
eines Suizids,
so muß eingeräumt werden,
daß die mangelnde Brauchbarkeit der Tatwaffe,
deren Verwendung
auf groben Unverstand,
d.h. eine völlig abwegige Vorstellung
von gemeinhin bekannten
Ursachenzusammenhängen
zu beruhen scheint,
eine wahrnehmbare Selbstentleibung verwehrte,
hier, so kann gesagt werden,
die Abwesenheit der Wahrnehmung
bezüglich der Gefährlichkeit
der Tatwaffe
für den jungen Herrn
mit Sicherheit lebensrettende Wirkung zeitigte,
aber uns geradezu zeigt,
wie sehr ein solcher Mensch,
welcher eine brauchbare Wahrnehmung
zu wenig bei sich hält,
wie sehr ein solcher Mensch,
verzeihen Sie den Ausdruck,
wahrhaftig "neben der Kappe"
zu laufen
fähig ist.
Zudem, daß dieser Degen
der Tauglichkeit
eines Selbstmordes
in realiter
entbehrte,
half
im Weiterendie Fortsetzung
mangelnder wirklichkeitsgetreuer
Wahrnehmung,
indem der Mensch,
im Irrglauben seines Dahinscheidens,
ohnmächtig danieder sank,
und so im Weiteren
die Fortsetzung
untauglicher Versuche
möglicher Selbstmordungen
sein Ende zu finden vermochte
und wahrscheinlich,
bei dem naturgesetzlichen Aufwachen
aus der vorübergehenden Ohnmacht,
ebenfalls in Ermangelung der Wahrnehmung,
dieser scheinbar junge Mensch
glauben wird,
daß er sich im Elysium
wiedergefunden habe."
Intermezzo (II)
Die beiden Trommler und der Flötenspieler spielen ein Stück. Hierzu bewegen sich zwei Tänzer und ein Eurythmist gemeinsam.
4. Bild
MIRA, in einem weißen Kleid, welches unter der Eubiorent-Jacke verborgen war, tritt auf.
Sie sieht Piramus da-liegen, läuft auf ihn zu, hört ihn atmen und gibt ihm einen sanften Backenstreich.
Piramus öffnet die Augen und ruft:
"Oh du mein Engel, du mein goldener Stern"
MIRA: "Ich bin kein Engel, bin kein goldener Stern,
ich bin Thysbe, einfach Thysbe."
Piramus: "Aber, wie kannst du Thysbe sein;
ich hab mich doch eben erst
erstochen. Nein, das glaub ich nicht!"
Energisches Klappen der Arme der Herren Aufsichtsräte.
Die Königin:"Wir meinen, Herr Piramus, Sie sollten ein wenig Ihre
Sinne beisammennehmen und sich einmal die
Kausalzusammenhänge klarmachen:
1.) Auf der Jacke ihrer für tot gehaltenen Geliebten
befindet sich nicht Blut, sondern rote Ölfarbe.
Klappen der Arme der Herren Aufsichtsräte.
2.) Der Degen mit dem Sie glaubten sich töten zu
können, war aus billigem Plastik.
Damit ist kein Selbstmord zu begehen.
Klappen der Arme der Herren Aufsichtsräte.
3.) Ihr nach dem vermeintlichen Todesstoß erfolgtes
Niedersinken beruhte auf einer perfekten
Illusion; da Sie sich vorstellten tödlich
getroffen zu sein, sanken Sie nieder.
Ergo (Klapp), Sie (Klapp), sind (Klapp), nicht
(Klapp), tot (Klapp, Klapp), und das ist Ihre Thysbe.
5.Bild
GENOM, weiß und einteilig gekleidet, kommt auf die Bühne. Er und MIRA nehmen Piramus in ihre Mitte und singen folgendes Lied:
(e-Moll)
GENOM und MIRA: "Emar - de - sa - lav - dio!"
MIRA summt.
GENOM: "Es war einst vor langer, langer Zeit
da lebte bei einem großen Meer
ein Volk.
Dieses Volk war frei in seinem Tun;
Niemand gab jemanden Befehl
alle wollten das Beste
und ließen den Fähigeren Vorrang."
GENOM und MIRA: "Emar - de - sa - lav - dio!"
GENOM summt.
MIRA: "Und es geschah eine Zeit
da teilte sich das Wasser
und das Land ging unter
auf dem das Volk lebte.
Allein eine Wolke
wie ein Hauch
blieb über dem Wasser bestehen
und mit ihr die Erinnerung an das Volk
was einst dort lebte.
Ja, die Erinnerung des geborgenen
und so vereinten Volkes blieb;
aber Stürme durchkreuzten die See
und die Möwen zogen in alle vier Himmelsrichtungen."
GENOM und MIRA: "Emar - de - sa - lav - dio!"
MIRA summt.
GENOM: "Und was bleibt mehr zu erzählen,
daß mit der Erinnerung
an diese ersten Menschen,
welche so bruchstückhaft,
die nachfolgenden Generationen
nur Teile dieser großen Harmonie
einer menschlichen Gesellschaft
nachzubilden fähig war.
Aus lauter Angst
gruben sich die einen Menschen
tief in die Erde ein
wurden zu Rechnern, Bauern
und großen Zählern.
Die anderen Menschen machten es wie die Drachen
zur Herbstzeit
stiegen bei Wind mächtig in die Lüfte
um alsdann,
flatternd zur Windstillzeit
in schroffen Felsen
zu verhangen."
MIRA und GENOM: "Emar - de - sa - lav - dio!
Und so kreuzten sich die Wasser
Und so tieften sich die Furchen
Und so pflügte sich das Land
Und so verdarb gleich vieles
Und
der Kirrheit jeglicher schwebenden
Drachengebärden
überdrüssig
der Unweigerlichkeit jeglichen trennenden
Erdkrumenzählens
überdrüssig
-- Mittlerweile haben sich alle Darsteller im Halbkreis,
dem Zuschauerraum zugewandt, auf die Bühne gesetzt und schauen fragend - offen, wie die Kinder, dem GENOM und der MIRA zu, die sich ebenfalls, wie zwei Märchenerzähler, in ihre Mitte gesetzt haben. --
tauchte die Wolke auf
wie ein Schiff
legte an
wartete ..."
Intermezzo (III)
Die Bühne dunkelt ab.
1.) Vier Trommeln (rotes Licht)
2.) Vier Tänzer (auf den Rhythmus tanzend)
3.) Vier Melodien (Flöten)
4.) Vier Eurythmisten
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Vorhang -----
Epilog
GENOM, wie zu Anfang, tritt auf; --
läßt die Füße baumeln:
"Es war einmal ein Kartenverkäufer, der verkaufte Karten, und er
ging zuletzt zum Theater und wißt Ihr, was er dort fand?"
GENOM legt seinen Finger auf den Mund, geht zu einem Korb im
Hintergrund, öffnet ihn, hebt sacht eine kleine Katze aus ihm
empor, streichelt sie, verschwindet still hinter dem Vorhang.