Spieler und Baumeister (Text-dokumentation) © MERGAT 1992

 

 

 

 

SPIELER

UND

BAUMEISTER

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

---- Ein Schauspiel ----

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.Teil

 

I.

Der Baumeister, bekleidet mit dunkelblauen Rollkragenpullover, Hosen und Schuhen sitzt links von der Bühnenmitte aus gesehen, neben sechs naturfarbenen, quadratischen Kieferholzklötzen mit einer Seitenlänge von je 9cm .

Allmählich wird die Bühnenmitte von einem Strahler, welcher in einem Zylinder aus schwarzer Pappe verborgen ist, erhellt.

Der Baumeister beginnt nun mit großer Bedachtsamkeit und Konzentration die Kiefernholzklötze, seine Bausteine aufeinanderzusetzen.

Er baut eine Pyramide.

Als der Baumeister gerade mit dem letzten Stein sein Bauwerk vollenden will, erhellt sich der Bühnenraum durch zwei, vor dem Schauplatz an der Decke befestigte Strahler mit weißem Licht.

Nun tritt der Spieler auf, rubinrot seine weiten Hosen, befestigt mit einem rubinrotem Gürtel; - auch sein zerschlissenes weites Hemd trägt diese Farbe.

Der Spieler bewegt sich mit einem bunten Ball durch den Raum, dessen Hauptfarbe ebenso dieses intensive Rubinrot trägt. Des Spielers ganze Aufmerksamkeit gilt nur diesem Ball, den er bewegt und liebevoll durch den Raum trägt.

 

II.

Der Spieler umzirkelt unbeachtend den Baumeister, schlägt einmal kurz das Rund hinter dem Baumeister auf den Boden, deshalb dieser aufschrickt; -- umzirkelt den Baumeister noch einmal, schlägt vor ihm den Ball auf, wobei sich der Spieler und der Baumeister kurz anstarren, ohne sich jedoch wirklich wahrzunehmen.

Nun zerstört der Spieler das Bauwerk des Baumeisters unbeachtend, als er vor ihm tritt, um ihm den Ball zu zeigen.

Der Baumeister scheint auf das Äußerste verletzt, stürzt zu Boden, schürzt seine Hände über die Klötze.

 

Der Spieler holt einen roten Luftballon aus seinem Gürtel und bläst mit vier Luftstößen diesen auf, abwechselnd den Luftballon mit dem Ball vergleichend.

Der Spieler spielt mit dem Luftballon. Er wirft ihn in die Luft und stößt ihn zart auch dem Baumeister zu, daß sich auch dieser daran erfreue.

Der Baumeister hat einen Nagel aus seiner Hosentasche gezogen und ersticht den Luftballon.

Mit dem Knall des Luftballons wird der Spieler wie erschlagen zu Boden geworfen und verharrt dort regungslos.

 

III.

Der Baumeister beginnt seine Bauwerk, gewußt wie, schnell wieder aufzubauen und zu beenden.

Danach mustert er sein Werk, läuft abschätzend hin und her. Er hat zwar sein Werk beendet, aber er scheint nicht zufrieden.

Da sieht er den Spieler am Boden liegen, der begonnen hat, aus einer tiefen Stille heraus, schwer zu atmen.

Der Baumeister blickt abwechselnd auf den am Boden liegenden, lebendigen Körper und seine toten Steine.

Mit einem Mal erfaßt ihn ein Ekel vor seinem Bauwerk und er zerstört dieses mit einem Fußtritt.

 

IV.

Der Spieler erhebt sich, diese Bewegung erscheint aber wie von fremder Hand bewirkt, er erscheint wie von einer Kraft geführt.

Diese Kraft zieht ihn nun immer wieder mit Gewalt an die Peripherie des Bühnenraumes.

An dessen äußerster Linie und einer an diesem Grenzpunkt durch den Körper des Spielers gehenden äußersten Spannung, wird, was einer Erlösung gleichkommt, der Spieler in den Bühnenraum wieder hineingezogen. Dieses Hineinziehen wird durch die Kraft, welche den Baumeister beherrscht, bewirkt.

Diese Kraft bringt und drängt den Baumeister stets in die Verharrung, in die Unbeweglichkeit, was über ein Zurückweichen und eine Krümmung des Körpers des Baumeisters sichtbar wird.

Wie durch ein magisches Band sind Spieler und Baumeister miteinander verbunden. Sie wissen jedoch nicht voneinander, sondern werden durch die sie bestimmenden Kräfte in ein ekstatisches Geschehen geworfen, dessen Beherrschung für sie nicht möglich ist, sie den Kräften hilfslos ausgesetzt sind.

 

V.

Entkräftet liegen der Baumeister und der Spieler am Boden.

Sie erwachen, und der Spieler ergreift zwei umherliegende Bausteine und der Baumeister den Ball des Spielers.

Dieses Greifen nach den Gegenständen wirkt wie eine Rettungshandlung.

Da beginnt der Baumeister bewußt ein langsames Metrum, indem er mit einer Hand auf den Ball schlägt, erkennen zu lassen.

Der Spieler schlägt inerhalb dem freiwerdenden Zeitraum, zwischen den ostinaten Schlägen des Baumeisters, die beiden Bausteine aufeinander.

Nach einer Weile verinnerlichen sich die hörbaren Laute wieder. In diesem Moment der äußeren Stille erblicken sich der Baumeister und der Spieler das erste Mal bewußt, erkennen am Anderen das jeweils Eigene, der Spieler seinen Ball , der Baumeister seine Bausteine.

Der Baumeister und der Spieler gehen aufeinander zu und nehmen sich erfreut und sachte, der Spieler den Ball, der Baumeister die Klötze, ab.

 

VI.

Der Spieler spielt locker und leicht mit seinem Ball, der Baumeister prüft billigend seine Steine.

Der Baumeister erfreut sich an seinen Klötzen.

Der Spieler erfreut sich an seinem Ball.

Die beiden Gestallten machen nun jedoch einen offeneren und bewußteren Eindruck als bei ihrem ersten Erscheinen, als sie sich mit bei ihrem eigenen Tun vorstellten.

 

 

VII.

Nach einer kurzen Weile erfolgt ein Gespräch:

 

Spieler: "Woher hast Du den Ball?"

Baumeister: "Den hab ich gefunden."

Spieler: "Wo?"

Baumeister: "Auf dem Weg."

Baumeister: "Und Du, woher hast Du die Klötze,

Hast Du sie auch gefunden?"

Spieler: "Ja." (fängt an zu spielen, B. staunt)

Baumeister: "Was machst Du?"

Spieler: "Ich spiele." (lächelt)

Baumeister: "Spielen?"

Spieler: "Ja."

Baumeister: "Ist das Spielen?"

Spieler: "Willst Du auch spielen?"

Baumeister: "Ich?"

Spieler: "Ja, Du!"

Baumeister: "Ja."

Spieler: "Hier. (gibt dem Baumeister den Ball)

--- Jetzt --- wirf!

--- Ja --- hoch!"

(Der Baumeister wirft vorsichtig den Ball

ungefähr 30 cm hoch und fängt ihn)

Baumeister: "Gut so?"

Spieler: "Ja!"

(Der Baumeister wirft noch einmal, heftiger, der

Ball fällt hinunter)

Baumeister: "Oh!"

Spieler: "Macht nichts." (Der Spieler hebt den Ball auf,

reicht ihm dem Baumeister)

 

Als der Baumeister weiter den Ball voller Freude in die Luft wirft, zeigt ihm der Spieler, daß er ein wenig die Knie durchzudrücken habe, um seinem Körper zum Werfen des Balles eine günstigere Elastizität zu geben.

Dies gelingt dem Baumeister, welcher sich eifrig bemüht, noch nicht so recht. Er drückt zwar regelmäßig die Knie durch, was aber nicht im lebendigen Zusammenspiel mit dem Werfen des Balles steht.

Da veranschaulicht der Spieler dem Baumeister den Bewegungsablauf; -- erst beschreibend in einzelnen Etappen, sodann das Ganze im Tun vorstellend:

 

Spieler:"Den Ball werfen, (der Spieler streckt seinen

Körper)

entgegenkommen lassen, (Der Spieler blickt wartend

nach oben, seine Arme sind

geöffnet)

und auffangen." (der Spieler fängt den Ball

indem er sich leucht beugt,

die Bewegung des Falls mit-

vollzieht)

 

Der Baumeister versucht nun, dem Vorbild des Spielers sich öffnend zu folgen. Es gelingt ihm nun schon einiges besser.

Der Spieler freut sich mit dem Baumeister über dessen Erfolg.

 

VIII.

Nun interessiert sich der Spieler für die Steine des Baumeisters.

Spieler: "Du, die Steine, gehören sie Dir?"

Baumeister: "Die Bausteine?"

Spieler: "Ja."

Baumeister: "Sicher.

Spieler: "Was machst Du mit den Steinen?"

Baumeister: "Ich baue."

Spieler: "Bauen?

Kannst Du mir zeigen wie man baut?"

Baumeister: "Selbstverständlich.

Vorne. (weist nach Vorne)

Hinten. (weist nach Hinten)

Links. (weist nach Links)

Rechts. (weist nach Rechts)

Der Baumeister setzt nun mit gekonnter und ruhig geführter Geste zwei Bausteine aufeinander.

Jetzt Du!"

Der Spieler wiederholt die Ausführungen des Baumeisters, vergißt die linke Seite zu benennen, was aber nur eines kurzen Blickwechsels mit dem Baumeister zur Korrektur bedarf.

Das Bauen des Spielers verläuft nicht so geradlinig wie das Bauen des Baumeisters; der Spieler setzt öfters neu an mit seinem kleinen Bau, aber unter der Lehrerschaft des Baumeisters bildet auch er dessen Tun mit Erfolg ab.

Baumeister: "Gut!

Jetzt Abstand nehmen.

Angucken."

 

IX.

Der Spieler und der Baumeister betrachten von allen Seiten die

beiden aufeinander und geordnet in den Raum gestellten Bausteine.

Schließlich stehen die Beiden an der letzten Raumseite dicht nebeneinander, dem Publikum den Rücken zugewandt; - vor ihnen am Boden die beiden Steine.

Nachdem der Baumeister mit einem "Gut" auch von dieser Seite das vom Spieler hergestellte Bauwerk billigen konnte, lösen sich der Spieler und der Baumeister voneinander, sie gehen rückwärts, der Spieler beschreibt die äußere Linie des linken Bühnenrundes, der Baumeister die äußere Linie des rechten Bühnenrundes.

Während sie zurückgehen breiten sie ihre Arme aus, ihre Gesichter wirken gelöst und befreit, die Augen sind weit geöffnet.

Der Bühnenraum dunkelt ab.

 

 

2.Teil

Ort:Irgendwo und Überall

Der Spieler und der Baumeister sind vom Publikum kaum zu erkennen, da der Raum dunkel ist und allein von zwei Lampions beleuchtet wird.

Der Baumeister trägt an einer dünnen Bambusstange und mit einem Draht befestigt einen quadratischen, dunkelblauen Lampion in welchem eine kleine Kerze brennt.

Der Spieler erscheint mit einem roten, runden Lampion auf dem rote, flammenartige durchsichtige Papierstreifen befestigt sind.

Der Baumeister tritt zuerst, von der rechten Seite kommend, auf. Er geht mit seinem Lampion, diesen hoch haltend, den Bühnenrand entlang bis zu Bühnenmitte. Er bleibt stehen.

Nach einer Weile kommt der Spieler von der linken Bühnenseite.

 

Spieler: "Warum bist Du hier?"

Baumeister: "Ich weiß es nicht."

 

Der Spieler geht weiter auf dem linken Bühnenrand, nähert sich nun dem Baumeister.

 

Spieler: "Manches Mal bin ich allein und fühle mich

glücklich und erfüllt.Es gibt aber Augenblicke, in denen ich mich

einsam fühle; - dann suche ich."

Baumeister:"Warum kann ich nicht fragen?

Ich weiß so wenig, und doch finde ich nicht die

Kraft in mir zu fragen.Der Baumeister wendet sich ab und geht ein paar Schritte seinen Weg zurück.

 

Spieler: "Hast Du Angst?"

Baumeister:"Ja, ich habe Angst eine Frage zu stellen."

Spieler: "Weshalb?"

Baumeister:"Ich fühle, daß ich mich verlieren würde, wenn ich

eine Frage stelle. Ich muß meinen Hochmut ablegen."

 

Während der folgenden Worte gehen der Spieler und der Baumeister mit ihren Lampions in Bögen, aneinander vorbei und sich wieder begegnend, um zuletzt, am Ende des währenden

Dia-logs, in der Mitte des Raumes stehenzubleiben.

 

Spieler: "Woher hast Du den Hochmut?"

Baumeister:"Ich fühle mich geschlossen, abgeschlossen;

wie in einem Schloß - verriegelt."

Spieler: "Weshalb hast Du das Schloß gebaut?"

Baumeister:"Es wurde kalt. Ich habe Kälte gespürt.

Und dann habe ich dicke Mauern gebaut.

Kennst Du das nicht?"

Spieler: "Ich kenne einen Feuersturm, der Alles niederbrennt,

und der Angst hat zu erlöschen, der Angst vor der

Kälte hat, da er keine Wärme schuf. ---------

Was ersehnst Du?"

Baumeister:"Erlösung."

Spieler: "Von deinen Mauern?"

Baumeister:"Von meinen Schranken." ------

Spieler: "Du mußt sie selber heben."

Baumeister:"Wie kann ich?"

Spieler: "Indem Du verstehst."

Baumeister:"Lernst Du auch mit dem Feuer umgehen?

Kannst Du verstehen?"

Spieler: "Du gibst meinem Feuer Nahrung,das macht mir das Verstehen so schwer."

Baumeister:"Das erschüttert mich.Ich begreif das nicht.(abschließend)

 

Spieler: "Ziehst Du dich auf dein Schloß zurück...?(leident)

Baumeister:"Ich möchte das nicht.Ich möchte die Tore öffnen.

Spieler: "Ich bin das Feuer. Ich muß brennen.

Sonst erlösche ich.(selbstgewiß)

Baumeister:"Ich will dich nicht erlöschen mit meiner Kälte.

Ich will dich; ich möchte dein Chaos ordnen.

Spieler: "Ich will mein Chaos selber ordnen."(frei-schaffend)

Baumeister:"Kannst Du das? Hast Du gelernt zu ordnen?"

Spieler: "Das ist meine Aufgabe."(bestimmt)

Baumeister:"Dann verstehen wir uns."(geklärt)

 

Der Spieler und der Baumeister löschen nun ihre Kerzen und gehen ab.

 

 

3.Teil

Das Licht geht aus.

Im Dunkel wird vom Spieler und Baumeister ein Tisch hereingetragen.

Das Publikum sieht im Halbdunkel ein großes Tuch auflodern, was vom Spieler und Baumeister gehalten, gemeinsam auf dem Tisch ausgebreitet wird.

Der Spieler geht auf der linken Bühnenseite ab.

Während der Baumeister eine Kerze, welche auf der Mitte des Tisches steht, anzündet, wird allmählich das ganze Bühnenhalbrund von dem Licht aus dem schwarzen Zylinder bestrahlt.

Nun hört man rythmische Schläge eines Bandero im

7/8 - Takt:

 

Der Spieler tritt auf und schlägt tanzend auf dem Bandero.

Hierzu verschwindet der Baumeister und trägt auf einem Teller einen Laib Brot herein.

Nun überreicht der Spieler dem Baumeister das Bandero, welcher lächelnd dieses entgegennimmt und in gleichmäßiger Pulsation den Spieler bei seiner Tätigkeit musikalisch begleitet, der zwei Gläser und zwei Messer herinträgt und diese sorgsam auf dem Tisch anrichtet.

Dieses abwechselnde spielerische Tun setzt sich fort bis der Spieler und der Baumeister miteinander das g e m e i n s a m e M a h l aus Käse, Butter, Brot und Milch in aller Ruhe beginnen können ...

 

 

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