Schriftlicher Fassung eines Vortrages in Konstanz,

gehalten am 27. Juli 2000 im Rahmen eines Seminars

"Chancen des Informationszeitalters" im Waldhaus Jacob,

Bildungsstätte der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Reinhold-Maier-Stiftung

von Michael Stoll. (www.michaelstoll.de)

 

 

        Wenn das Wort ein-fällt ...

Aspekte autobiographischen Schreibens

 

 

Weshalb schreibt der Mensch?

 

Damit meine ich vor Allem ein Schreiben, welches aus dem Leben, vom Leben des Schreibenden berichtet, ein autobiographisches Schreiben.

 

Meiner Erfahrung nach tritt, sobald die Schreibhemmung überwunden ist, dass heißt, ich mich überwunden habe, eine Haltung des Schreibens einzunehmen, nach einer gewissen Zeit eine Ruhe ein, eine Beruhigung entsteht;

 

Den Hintergrund, mögliche Erklärung, wie es zu einer solchen Ruhe zu kommen vermag und sich diese bis zu einem Glückszustand, einem Gefühl der Harmonie und Stimmigkeit zu steigern vermag, will ich mit Ihnen versuchen zu erhellen.

 

 

Tätigkeit des Schreibens

 

Das Schreiben ist eine körperliche Tätigkeit. Ein Kind, welches beginnt, den Stift in der Hand zu halten, und mit gespannten Lippen die ersten Linien auf dem Blatt ausführt, ist mit ganzem Wesen, ganzer Gestalt dabei. Noch ist in dieser Ausschließlichkeit kein Bruch, kein Ab-gespaltenheit zu spüren.

 

Mit dem Eintritt in das Schulalter lernt das Kind allmählich die Schrift.

Aus Bildzeichen sich entwickelnd entstand ein komplexes System von Zeichen, die das gesprochene Wort, gedankliche Inhalte  abzubilden fähig wurden.

In langen Reihen mit Hilfslinien malt das Schulkind in gleichmäßigen Abständen die einzelnen Buchstaben;-- schließlich helfen die von der Lehrerin mitgebrachten Gegenstände beim Entstehen der ersten geschriebenen Worte, wie Apfel, Tuch oder Stuhl.

Und bald schon bildet das Kind erste kurze Sätze, kann in noch unsicherer Formung kleine zusammenhängende Texte verfassen, lernt sich schriftlich mitzuteilen.

 

  

Im Verlauf weiterer Ausbildung verliert das Schreiben jedoch die Kraft des kindlichen Ganz-dabei-Sein;

Prüfungen, Geschäftsbriefe, knappe Hinweise, Schreib-Zwecke verschiedenster Art führen dazu, dass eine  ursprüngliche und voraussetzungslose Eingebundenheit des Menschen in dieser Tätigkeit  verloren geht;

 

--- dies,  falls nicht die Quelle des Schreibens weiter offen gehalten, und gepflegt wird, dem Bedürfnis nach persönlichen Ausdruck, und damit der Freude an eigener Schöpfung und Austausch mit Anderen;

 

eine Kultur des Tagebuchschreibens, des persönlichen Briefs, Gedichte und Märchen zu verfassen wird jedoch nicht allzu oft über die Pubertät und Adoleszenz hinaus bewahrt; eine Welt der Bezweckung fängt solche Blüten all zu schnell ein, scheint keine Zeit mehr zu lassen, in die tiefe Be-friedigung eines intensiven persönlichen Schreibens einzutauchen.   

 

 

 

Mit dem persönlichen Schreiben entsteht eine Art Gegenwelt, die jedoch mit der Realität eng verbunden ist, da sie aus ihr Nahrung und Herkunft bezieht.

 

Im persönlichen Schreiben ist der Schreibende als Mensch und in der Schilderung sein Mitmensch Dreh-und Angelpunkt eines Geschehens;

 

der Mensch er-schreibt eine Welt, die als materielle Welt auf Grund seines Fühlens stets erneut gedeutet und gewichtet werden will und nicht in der Starrheit und scheinbaren Unveränderlichkeit eines So-ist-es, So-soll-es-Sein.

 

Um aus der Entfremdung zurückzukehren in den Bereich größerer Freiheit und Beweglichkeit, einer annähernden Selbst-Bestimmtheit und Gefasstheit, müssen Hindernisse beseitigt werden, wird Klärung und Überprüfung der Sprache selbst not-wendig.

 

 

 

 Bedeutung

 

 

Jeder Begriff hat sein Umfeld, gewonnen aus dem wiederholten Gebrauch, seiner Verwendung, die bei jedem Auftreten eine erneute Nuance, neues Leben gewinnt.

Diese Erweckung zum Leben des Begriffs geschieht, indem er mir eigen wird, Ich ihn ver-wende. Allmählich unabhängiger und freier von bestimmenden Kontexten, wird der Begriff in eigener Weise benannt.

 

Solch freie Verwendung geschieht, indem Ich es ernst nehme, das Wort, es nicht übernehme, mich als Träger dabei übergehe, sondern in der Hereinnahme des Wortes einen ihm gemäßen Platz zuweise.

  

Das Arbeiten am Wort und der Erweiterbarkeit seiner Bedeutung, auch an der Um-deutung, ist wesentlich, um zur Verfügung des Wortes, --- ein wirk-kräftiges, eigenes Schreiben zu erreichen.

 

Das heißt, dass ich es mit seiner Verwendung mir nicht leicht mache, beginne innezuhalten, zu hinterfragen, ohne jedoch die innere Glut, das ursprüngliche Wort-Begehren dabei erkalten zu lassen.

Hier lernt der Schreibende erkennen, wie er zu arbeiten hat, dass Wärme entsteht bei seinem Tun (...)

 

 

Die Erinnerung

 

Im Laufe meines Lebens werde ich unaufhörlich berührt, bewegt, geprägt und geformt; wie in einen Strom hineingeworfen beginne ich als Mensch mich mit diesen bestimmenden Kräften zu bewegen, --- und mich mit Ihnen zu gestalten.

 

Sprache, Schreiben als gesetztes Wort kann eine Insel sein, inmitten einer Flusslandschaft, mit Hilfe derer ich Land gewinne, mich ausruhe, kräftige, und bisher Durchwundenes und Erlebtes zu überblicken vermag;  Mäander und Biegungen erkenne, wie die Turbulenzen und oft im direkten Erleben undurchschaubaren Strömungsverläufe.

 

Quasi mit geschlossenen Augen, den Blick in der Er-Innerung habe ich auf der Insel, während der Situation des Schreibens, Gelegenheit die Resonanz, den Wiederklang von erlebten Situationen im Schutz eines inneren Raumes erneut zu erleben, auf dessen Grund, überhaupt zur vertieften Erfahrung zu kommen.

 

In Form dieser Erfahrenheit zeigt der Strom des Lebens mir sein  zugegebenes Gesicht. In der Stärke, dem Lauschen meiner Empfindsamkeit spüre ich, mit welchen Wassern zu kämpfen --- zu behaupten oder sich ihnen anzuvertrauen ---  mir wiederholte oder erneute Aufgabe war.

 

Und stehe ich in der Landschaft meiner Erinnerung, gefasst und ruhiger werdend, so anerkenne ich die unvergleichliche Vielzahl je eigen gegebener Lebensströme meiner Mit-menschen, der Gemeinschaft, Gesellschaft und einer daraus geronnenen Geschichtlichkeit;

 

Der Schreibprozess führt zur Klarwerdung des eigenen Standes; hier liegt der Ursprung, Erkenntnis-Ausgang, will ich kein blinder Täter oder blindes Opfer, Treibholz der Fluten sein. 

 

 

 

Ver-Antwortung

 

 

Je länger ich auf der Insel mich befinde, das Wasser auf meinen Armen abgeperlt ist, der Atem sich beruhigt hat, umso näher rückt der Augenblick, in dem ich die Insel verlasse und erneut mich dem Strom anvertraue.

 

Mit der Erfahrung, die Schreiben ist, kann, je tiefer, radikaler, von der Wurzel her sich dieses vollzieht, der Bezug zur momentanen Lebenssituation klarer, gereifter, bewusster werden.

 

Ich weiß, was der wild drehende Strudel des Flusses bei der Krümmung dort drüben be-deutet, habe im  

Schreiben, im Ringen um das rechte Wort den Kampf und die Lust in vielen Nuancen erlebt, weiß um  Gesetzmäßigkeiten und habe die Möglichkeit zu ent-scheiden.

 

Indem ich über die Erfahrung einfältige Wiederholungen meide, wird die kommende Flusslandschaft vielfältiger und öffnet stetig neue Überraschungen, die ich während vergangener blinder Kämpfe bisher nicht erkennen konnte. ---

 

Der Schreibende gewinnt eine Distanz, eine Freiheit, die aus errungenen Ant-Worten, in Verantwortung  mündet.

 

 

 

Das Spiel

 

 

Erfühle, erkenne ich das Gesetz meines Lebens im Verfolgen meiner Schreibbewegung, gewinnen Zu-Ströme an Bedeutung, neue Gewässer vermischen sich mit Alt-bekanntem, unbekannte Turbulenzen entstehen, Begleiter und Begleiterinnen, Weggefährten werden erkennbar.

So weitet sich der Gesichtskreis und der Schreibende verlässt seine altbekannte Welt, öffnet sich und aus den Zuströmen verändert sich auch die Sprache, denn das Klima hat sich verändert; die Kräfte werden größer, gewaltiger und vermitteln ein Erleben, was sich der vereinigenden Ekstase zu nähern fähig wird.

 

Eine solche Sprache verlässt immer mehr Gewissheiten gleichlaufender Abläufe, eine solche Sprache kann nicht mehr träumend sich rückgewandter Benennung zu wenden, nein, der Schreibende lernt, geöffnet und konzentriert zugleich, Überraschungen, Neues in sein Tun mit hinein-, aufzunehmen;

 

--- er beginnt immer tiefer zu verstehen, dass jede Bedingtheit, überzeitliche Erfahrung zu bewirken vermag, jedoch mit der konkreten Zeitlichkeit des Augenblicks und dem Einlassen auf ihr Raum-Gefüge, dem Bild, vollkommen verbunden ist.

 

Der Schreibende lernt, dass die Gesetze des Lebensstromes sich immer neu aktualisieren; er bergreift das sich Wandelnde im Unveränderlichen zu unterscheiden, und sieht seine eigene Zeitlichkeit gelassen.   

 

Der Schreibende, der Mensch lässt sich treiben, wo er der Wucht des Wassers, seiner Unweigerlichkeit nichts entgegenzusetzen weiß und sucht den Tanz dort, wo er möglich wird.

 

Und mit einem Mal wird die Schreibbewegung und die Bewegung des sich im Strom bewegenden Menschen eins; war das Schreiben zu Anfang ein klammernder Griff nach der Abstraktion oder einschmeichelnde Nachbewegung, um sich dem Strom äffisch und größenwahnsinnig zugleich nachzubilden, verschmilzt nun die  Bewegung der Sprache und des Körpers des Menschen zu einer Spur; war eben der Sprachduktus entfernt und bloßer modellhafter Ersatz oder Surrogat, gelingt es dem Schreibenden im er-weiterten Maße, sein ganzes Verhältnis zur Gegebenheit zu erfassen, sich zu be-scheiden.

 

Nicht linear und rigide oder vergewaltigend wird die Schreib-, Lebensspur, sondern vielleicht zart, dass heißt auf größtmöglichste Berührung aus.   

 

Dies heißt nicht, dass Brüche, Stürze und Katastrophen ausgeklammert blieben, denn das Schicksal verursacht sie, aber die Begegnung mit diesem wird ehrlich, dass heißt es wird erzählt, ohne dass ich als Hörer mich von einer Eitelkeit oder überspielenden Musikalität, literarischer Ge-fälligkeit oder Effekthascherei betrogen fühlen muss.

 

 

 

Ein Weg

 

Der Übergang vom autobiographischen Schreiben in literarisches Schaffen ist fließend.

Der Text, den ich verfasse wird, sobald als Manuskript oder gebundenes Buch weitergegeben --- zum Kon-Text;

je ernster ich es mit meinem Schreiben, mit meinem Leben meine, umso natürlicher wird die Bewegung nach Ausbreitung, Verbreitung.

 

Nicht jeder Text, jedes Buch, be-trifft mich in meiner Lebens-Situation; die konkrete Betroffenheit, welche eine Schrift auslöst, auszulösen vermag, deutet darauf hin, dass sie eine Erfahrung zum Ausdruck bringt, welche meiner eigenen Lebensspur nahe, diese in Form einer reale Übertragung vertieft und zu klären fähig ist;

not-wendig ist das eigene Tun, die eigene Erfahrenheit als Ort der Begegnung und des Vergleichs. 

 

 

Jeder starke, große Text weiß von der Quelle und vom Meer, weiß vom Tropfen und vom Ganzen, der Kleinheit und der Möglichkeit des Blicks, welcher so tief paradox in sich --- in der Zeit und außer ihr steht, sich aus ihr nährt und doch zu bestehen scheint.

 

 

 

Michael Stoll